Zum Hauptinhalt springen

„Offener Dialog und breitere Zusammenarbeit“

Gernot Erler, Russland-Koordinator der Bundesregierung, über die deutsch-russischen Beziehungen.

25.03.2014
© spdfraktion.de (Susie Knoll / Florian Jänicke) - Gernot Erler

Herr Erler, im Januar 2014 haben Sie das Amt des „Koordinators für die gesellschaftspolitische Zusammenarbeit mit Russland, den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Zentralasien“ übernommen – das ist ein doch recht deutlich anderslautender Aufgabenbereich als beim zuvor gebräuchlichen Titel des „Koordinators für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit“. Warum diese Umformulierung? Verliert Russland etwa als Dialogpartner der Bundesregierung an Bedeutung?

Im Zuge der Regierungsbildung fragte mich Außenminister Steinmeier, ob ich das Amt des zivilgesellschaftlichen Koordinators, das 2003 auf meinen Vorschlag geschaffen worden war und das ich bis 2005 inne hatte, wieder übernehmen möchte. Ich habe unter der Bedingung akzeptiert, dass die Zuständigkeit auch auf die Nachbarn Russlands – Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft – ausgeweitet wird. Nicht, weil Russland als Dialogpartner an Bedeutung verloren hat. Wer den Koalitionsvertrag liest, wird ganz im Gegenteil merken, dass Russland im außenpolitischen Teil wieder eine zentrale Passage gewidmet ist. Ich habe die Ausweitung des Mandats angeregt, weil ich überzeugt bin, dass wir die regionale Zusammenarbeit in unserer Nachbarschaft stärken müssen. In allen zwölf Ländern finden gesellschaftliche Prozesse statt, die miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen. Ein Beispiel dafür sind die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. Dies müssen wir aufmerksam beobachten und konstruktiv begleiten. Dafür brauchen wir einen umfassenden, regionalen Blick und grenzüberschreitende Dialogformate. Meine Aufgabe sehe ich darin, die relevanten Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen und dadurch unsere Beziehungen mit der Region zu intensivieren.

Ob und in welchem Maße die Ukraine ein „Östlicher Partner“ Deutschlands und der Europäischen Union sein kann, ist aktuell hochumstritten. Welchen Weg wünschen Sie sich für die Ukraine?

Ich wünsche, dass die Ukraine rasch zu einer politischen und wirtschaftlichen Stabilität zurückkehrt. Dafür kommt es zunächst darauf an, die angespannte Situation in der Ukraine zu beruhigen. Die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen haben deutlich gemacht, dass wir einen Weg finden müssen, wie das Land die Annäherung an die EU fortsetzen kann, ohne die engen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen zu Russland aufgeben zu müssen. Es kann für die Ukraine kein „entweder-oder“, sondern nur ein „sowohl-als auch“ geben. Wenn es nicht gelingt, dies im Dialog zu erreichen, wird dies fatale Folgen für die Ukraine, aber auch für die Beziehungen zwischen EU und Russland haben.

Wie möchte Deutschland die russische Zivilgesellschaft stärken?

Die zwischengesellschaftlichen Beziehungen sind eine tragende Säule der bilateralen strategischen Partnerschaft. Die zahlreichen gemeinsamen Projekte, die von aktiven und engagierten Bürgern in Deutschland und Russland getragen werden, machen die Substanz der deutsch-russischen Beziehungen aus. Daher werben wir gegenüber Russland intensiv dafür, die Zivilgesellschaft als wichtigen Dialogpartner der Politik zu sehen. Angesichts der zahlreichen globalen Herausforderungen können Staaten ihre Interessen am besten behaupten, wenn sie auf Kooperation und Unterstützung durch die Zivilgesellschaft setzen. Für diese Überzeugung setzen wir uns im politischen Dialog mit Russland ein. Zusätzlich wollen wir auch die Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure untereinander und mit staatlichen Strukturen befördern, um das Potenzial der einzelnen Akteure zu bündeln und zu verstärken. Dies ist eine meiner zentralen Aufgaben.

Wie kann das gegenseitige Verständnis in den bilateralen Beziehungen gefördert werden?

Deutschland und Russland verbindet eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft. Ihr Potenzial ist jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Die gegenwärtigen Ereignisse führen deutlich vor Augen, dass wir dringend mehr offenen Dialog benötigen. Die Grundlagen dafür müssen wir jetzt legen: durch mehr Begegnungen und Austausch, vor allem unter Jugendlichen, durch die Stärkung vorhandener Kooperationsformate und die Schaffung neuer Dialogkanäle, durch Förderung der Sprachkompetenz für die jeweils andere Sprache. In diesen Bereichen möchte ich als Koordinator Akzente setzen.

Deutschlands „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland ist eng mit Ihnen und Bundesaußenminister Steinmeier verbunden. Welche Zukunftschancen hat diese Partnerschaft noch?

Die Modernisierungspartnerschaft hat sich seit 2008 zu einem bedeutenden Rahmen für deutsch-russische Projekte entwickelt und sie hat europaweit Schule gemacht. Fast alle EU-Mitgliedstaaten und die EU selbst haben die deutsche zum Vorbild für eigene Modernisierungspartnerschaften mit Russland genommen. Ich bin überzeugt, dass der Grundansatz einer umfassenden Modernisierungspartnerschaft noch immer richtig ist. Wir müssen sie aber den veränderten Rahmenbedingungen in Deutschland und Russland anpassen. Die Bereitschaft dazu haben wir unter anderem im Koalitionsvertrag festgehalten.

Welche Bedeutung soll speziell dem Petersburger Dialog künftig zukommen?

Der Petersburger Dialog ist ein wichtiges Forum für den Austausch der deutschen und russischen Zivilgesellschaften. Er hat viel für die gegenseitige Verständigung zwischen Deutschland und Russland getan und wichtige Projekte auf die Schiene gesetzt. Aber auch hier gilt ähnlich wie für die Modernisierungspartnerschaft: der Petersburger Dialog muss mit der Dynamik, mit der sich die Zivilgesellschaften in Deutschland und Russland verändern, Schritt halten. Dies bedeutet, für strukturelle und personelle Veränderungen offen zu sein. Als sich stetig erneuernde, alle relevanten Akteure einschließende Struktur wird der Petersburger Dialog seine wichtige Funktion in den deutsch-russischen Beziehungen auch künftig erfüllen können. ▪

Das Interview mit Gernot Erler führte „DE“-Redakteur Johannes Göbel Anfang März 2014.

Erfahrener Koordinator

Gernot Erler ist seit 1987 Mitglied des Deutschen Bundestages; er gehört der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) an. Bereits in seiner Zeit als Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit (2003–2005) und als Staatsminister im Auswärtigen Amt (2005–2009) setzte sich Erler intensiv für die deutsch-russischen Beziehungen ein. Die Modernisierungspartnerschaft beider Länder hat Erler wesentlich geprägt. Die Partnerschaft fördert die Kooperation in Bereichen wie Rechtszusammenarbeit, Gesundheit und Demografie, Energieeffizienz, Verkehrsinfrastruktur sowie Aus- und Weiterbildung. Sie ist auch Thema von Gernot Erlers Buchveröffentlichung „Die Europäisierung Russlands. Moskau zwischen Modernisierungspartnerschaft und Großmachtrolle“.