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„Rückhalt und Solidarität“

Der Opferbeauftragte Pascal Kober erklärt, warum ein nationaler Gedenktag für die Opfer von Terrorismus für die Gesellschaft wichtig ist – gerade in diesem Jahr.

Carsten Hauptmeier, 08.03.2022
Pascal Kober
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung: Pascal Kober

Seit Mitte Januar 2022 ist Pascal Kober Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen terroristischer und extremistischer Anschläge im Inland, kurz als Opferbeauftragter bezeichnet. Einen Monat später beschloss die Regierung, in Deutschland einen nationalen Gedenktag für die Opfer von Terrorismus am 11. März einzuführen. Hier erklärt der FDP-Bundestagsabgeordnete, was ein solcher Tag der Erinnerns für die Betroffenen und für die ganze Gesellschaft bedeutet.

Herr Kober, warum war es wichtig, einen nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt einzuführen?
Der nationale Gedenktag knüpft an den Europäischen Gedenktag für die Opfer des Terrorismus an, der bereits seit dem Jahr 2005 jährlich begangen wird. Terroranschläge richten sich gegen uns alle, gegen unsere Werte der Vielfalt und Religionsfreiheit, gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Betroffenen werden letztendlich stellvertretend für uns alle getroffen. Der 11. März soll auch symbolisch für den Zusammenhalt Europas stehen. Er zeigt, dass wir Europäer uns einander solidarisch verbunden fühlen. Aus diesem Grund war es der neuen Bundesregierung und mir ein wichtiges Anliegen, dass wir auch in Deutschland einen Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt einführen. Viele Betroffene haben sich ebenfalls für einen solchen Gedenktag eingesetzt. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen der Solidarität und würdigen all jene, die stellvertretend für uns alle getroffen wurden.

Der Gedenktag wird vom Krieg in der Ukraine überschattet. Wie wichtig ist ein solcher Tag gerade in diesem Jahr?
Der russische Überfall auf die Ukraine ist furchtbar und hat schon viele Opfer gekostet. Dass der erste Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt in eine Zeit fällt, in der in Europa Krieg geführt wird, führt uns die Dringlichkeit des öffentlichen Gedenkens auf grausame Weise vor Augen. Das Leid, das die Menschen gerade erfahren müssen, entbehrt jeglicher Vorstellung. Ein Gedenktag für Terroropfer in Zeiten wie diesen muss uns eine Mahnung an die Bedeutsamkeit unserer Werte und der Solidarität in unserer demokratischen Gesellschaft sein – nicht zuletzt sind es diese Werte, für die die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen.

Was kann ein solcher Tag dazu beitragen, den Menschen in Deutschland das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen bewusster zu machen?
Ein solcher Gedenktag schafft einen öffentlichen Raum für das Erinnern. Einen Raum, der es uns ermöglicht, innezuhalten, Anteil zu nehmen. In dem Schmerz, Trauer, Wut und Verzweiflung – vielleicht auch Hoffnung und Zuversicht – Platz haben. Ein Raum, der vermittelt: Wir vergessen die Betroffenen nicht. Wir stehen an ihrer Seite. Nicht nur nach einem Anschlag, nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden Tag. Von dem Gedenktag verspreche ich mir aber auch, dass in unserer Gesellschaft weiter bekannt wird, welcher Bedrohung unsere Werte und unsere Freiheit ausgesetzt sind und dass die Bevölkerung sensibilisiert wird für das Schicksal der Betroffenen. Wichtig sind Rückhalt und Solidarität; das zeigt sich gerade in diesen Tagen, wenn wir das schreckliche Leid in der Ukraine sehen.

Wie unterstützt der Staat die Opfer bislang?
Es gibt zum einen finanzielle Hilfen. Opfer terroristischer und extremistischer Straftaten können sogenannte Härteleistungen als freiwillige Solidaritätsleistung des Staates erhalten. Daneben gibt es in einigen Bundesländern Opferfonds. Alle Opfer von Gewalttaten können zudem Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten, etwa monatliche Grundrenten, Maßnahmen der Heil- und Krankenbehandlung sowie fürsorgerische Leistungen. Das Soziale Entschädigungsrecht wurde umfassend reformiert und bringt deutliche Verbesserungen für die Opfer mit sich, leider in wesentlichen Punkten erst ab Januar 2024.

Seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 wurden aber auch viele neue Strukturen und Prozesse für die Hilfe und Unterstützung der Betroffenen von terroristischen Anschlägen auf den Weg gebracht. So gibt es seit 2017 das Amt des Bundesopferbeauftragten – seit 2018 als dauerhafte Einrichtung – und mittlerweile haben wir auch in 15 Bundesländern Opferbeauftragte oder zentrale Anlaufstellen. Das hat sich bei der Unterstützung von Betroffenen bewährt. Nach einem Anschlag gehen wir proaktiv auf die Betroffenen zu und bieten Hand in Hand mit den Strukturen in den Ländern Unterstützung an, etwa durch Vermittlung von psychosozialen, finanziellen und praktischen Hilfen. Auch unsere enge Zusammenarbeit mit Opferhilfeeinrichtungen hat sich sehr bewährt.

Gibt es darüber hinausgehende Pläne?
Auch wenn schon viel Gutes auf den Weg gebracht wurde, bleibt noch viel zu tun. Ich sehe da beispielsweise Verbesserungsbedarf beim Umgang mit Betroffenen durch die Behörden oder aber bei den Hürden, denen sich Betroffene beim Antragsprozess für Leistungen ausgesetzt sehen. Das Fallmanagement, dass ab 2024 im Sozialen Entschädigungsrecht eingeführt wird, stimmt mich zuversichtlich. Mein Ziel ist es, noch mehr über die Perspektive der Betroffenen zu erfahren und diese Erkenntnisse in Überlegungen zur Verbesserung der Situation der Betroffenen einfließen zu lassen.

Der Kampf gegen Extremismus und Terrorismus gehört zu den zentralen Zielen der Bundesregierung. Wo liegen aus Ihrer Sicht entscheidende Ansatzpunkte?
Wichtige Säulen sind die Prävention und eine gute Arbeit der Sicherheitsbehörden. Wir müssen als Gesellschaft alles dafür tun, um Rassismus, Gewalt und Diskriminierung jeden Tag konsequent zu bekämpfen, darauf aufmerksam zu machen, uns dafür zu sensibilisieren und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken. Wir werden die Opfer dieser entsetzlichen Angriffe nicht vergessen.

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