Zum Hauptinhalt springen

Der arabische Frühling und die Müllberge

Deutsche Städte unterstützen ihre Partnergemeinden im Maghreb in der kommunalen Selbstverwaltung.

شايلا ميزوركار, 13.08.2012
© picture-alliance/abaca - Tunis

Souad Sassi vom Bürgermeisteramt in Tunis ist begeistert. „Endlich können wir auf lokaler Ebene etwas bewegen“, sagt sie. In diesem Fall geht es um Müllentsorgung, ein großes Problem in Tunis. Wie viele Bewohner Tunesiens fühlt Souad Sassi sich noch im Schwung der Jasminrevolution, mit Begeisterung für die neuen Möglichkeiten, die die Demokratie bietet. Aber für die Stadtverwaltung bedeutet das, sich trotz Revolution um so profane Dinge wie die Müllabfuhr zu kümmern. Das Land befindet sich in einer unruhigen Situation mit einer schlecht funktionierenden Versorgungslage, etwa beim Trinkwasser, der Elektrizität oder der Gesundheitheitsversorgung. Man sieht den zunehmenden Verfall der Gebäude und der städtischen Einrichtungen.

„Niemand will die alten Zeiten zurück“, sagt Souad Sassi, eine dunkelhaarige Frau mit eleganter Brille, die die internationalen Angelegenheiten des Bürgermeisters von Tunis regelt. „Aber wir stehen vor großen strukturellen Problemen. Wir brauchen bessere Dienstleistungen, eine transparente Verwaltung, und eine kommunale Selbstverwaltung.“ Dafür ist in Tunis jetzt eine Kommission eingerichtet worden mit dem Ziel der Good Governance und der Dezentralisierung der Kommunen.

All dies macht Tunis in Zusammenarbeit mit seiner Partnerstadt Köln. Partner sind die beiden Städte schon seit 1964, erklärt Souad Sassi: „Früher war die Kooperation auf einige wenige Felder beschränkt. Ende der 1960er-Jahre hatte Köln beispielsweise der Stadt Tunis zu einem eigenen Zoo verholfen. Seit der Revolution haben wir viel mehr Entscheidungsfreiheit und können ganz andere Schwerpunkte setzen. Jetzt wollen wir kommunale Selbstverwaltung.“

Bei diesem Thema haben die deutschen Kommunen viel Erfahrung sammeln können. „Unsere Expertise geben wir gern weiter. Das hat die Zusammenarbeit auf eine andere Ebene gehoben“, erzählt Dr. Uwe Korch, der beim Oberbürgermeister von Köln für internationale Angelegenheiten zuständig ist. „Früher haben wir eher Kultur- und Schüleraustausche organisiert. Nun arbeiten wir projektbezogen mit einer viel größeren Bandbreite.“

Städtenetz für Nordafrika

Köln ist nicht die einzige deutsche Stadt, die sich im Maghreb engagiert. Bereits im Dezember 2011 hatten sich deutsche Städte, die sich für die Entwicklung in Nordafrika einsetzen wollten, zu einem Städtenetz für Nordafrika zusammengeschlossen – unter der Ägide des Deutschen Städtetages. Der Deutsche Städtetag ist eine Vereinigung aller Städte und Gemeinden, die mehr als 50000 Einwohner haben und kümmert sich um die lokale Selbstverwaltung der Städte. Dieses Konzept der kommunalen Selbstverwaltung will man jetzt auch den Partnern aus dem Maghreb vermitteln. Auf einem Netzwerktreffen deutscher Kommunen mit Partnerschaften in Nordafrika in Bonn setzten sich deutsche und nordafrikanische Partnerstädte zusammen und besprachen die Probleme der Kommunen. Organisator war die „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ von Engagement Global. Dieses Netzwerk wurde im November 2011 gegründet und wird von der SKEW gemeinsam mit dem deutschen Städtetag betrieben.

Auf dem Treffen berichteten Partner aus Tunesien und Ägypten von den neuen Herausforderungen, vor denen ihre Stadtverwaltungen plötzlich standen, direkt nach den Umstürzen im vergangenen Jahr. Der arabische Frühling bringt einen radikalen Wandel mit sich, der sich hauptsächlich in den Städten vollzieht und vor allem von den jungen Leuten getragen wird. Die Erwartungen der Bürger sind dabei sehr konkret: Arbeitsplätze, Infrastruktur, Wohnungsbau und mehr Demokratie vor Ort. Das alles sind Dinge, die nicht die Zentralregierung, sondern die Kommunen bieten müssen; das heißt, an ihrer Leistung wird die Revolution gemessen.

Das gilt zum Beispiel für Taieb Nefzi, den Oberbürgermeister von Menzel Bourguiba in Tunesien, der Partnerstadt von Stuttgart. Er identifiziert die Korruption als ein großes Problem in der Verwaltung. Das muss die Stadt jedoch alleine lösen. Stuttgart kann jedoch durch Projektförderung vor Ort Arbeit schaffen – ein wichtiger Beitrag für die Stadt.

Besondere Herausforderungen

Manche Kommunen stehen vor ganz besonderen Herausforderungen, zum Beispiel die Stadt Ben Guardane im östlichen Tunesien. Der kleine Ort liegt an der Grenze zu Libyen und lebt von jeher von dem grenzüberschreitenden Handel. Seit dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes sind rund zwei Millionen libysche Flüchtlinge nach Tunesien gekommen – und das bringt gerade die Grenzstädte an den Rand ihrer Kapazitäten. Dr. Munir Brik, Vorsitzender der Entwicklungs-Assoziation von Ben Guardane, betrachtet die rund 4000 Flüchtlinge, die sich in der Kleinstadt niedergelassen haben, jedoch als positiven Zuwachs: „Sie sind die nötige Manpower, die wir zur Entwicklung brauchen.“

Auch Ben Guardane bekommt Rat von Fachleuten der deutschen Kommunen. Unterstützt werden der Deutsche Städtetag und seine nordafrikanischen Partner durch das Regionalvorhaben CoMun (Coopération des Villes et des Municipalités au Maghreb – Stärkung kommunaler Strukturen im Maghreb) der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Diese unterstützt im Auftrag des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Bildung eines Lernnetzwerks für Kommunal- und Stadtentwicklung im Maghreb und fördert dabei kommunale Projektpartnerschaften zwischen deutschen und maghrebinischen Städten. Das Programm CoMun will Städtepartnerschaften auf der Grundlage von ausgewählten Projekten wiederbeleben. „Die direkte Zusammenarbeit von deutschen Städten mit ihren Partnern in Tunesien und Ägypten bietet die Möglichkeit, dass Fachleute verschiedener Länder, die aus der Praxis kommen, zusammen konkrete Probleme vor Ort lösen“, sagt Meinolf Spiekermann, der Programmleiter von CoMun. Damit die Demokratie sich in Ruhe weiterentwickeln kann – ohne Müllberge.