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Gemeinsam 
gegen das 
Vergessen

Zehntausende Mexikaner werden vermisst. In den wenigsten Fällen erfahren die Angehörigen, was mit ihnen geschehen ist. Ein Projekt des Auswärtigen Amts stärkt den Rechtsstaat.

Sandra Weiss, 18.04.2016

Manchmal stehen selbst erfahrene Ermittler wie Andreas Forer vor fast unlösbaren Aufgaben: Wo bekommt man in Mexiko Skelette? Die braucht der Jurist für die Seminare, die er dort bald Forensikern und Ermittlern gibt. „Die Skelette vergraben wir. Die Teilnehmer müssen sie finden, sichern, DNS-Proben entnehmen und mit Datenbanken abgleichen.“ Was sich nach Krimi anhört, ist in Mexiko grausamer Alltag. Seit 2006 wurden im Krieg gegen die Drogenkartelle mehr als 136 000 Menschen ermordet, 26 000 werden vermisst. Nicht mal zwei Prozent aller Fälle werden aufgeklärt.

„Das gerichtsmedizinische Labor der Staatsanwaltschaft in Mexiko-Stadt ist gut ausgestattet“, so Forer, „aber es hapert an Koordination und Zusammenarbeit.“ Ein neues Strafprozessrecht soll Abhilfe schaffen, ist aber noch nicht allen Funktionären vertraut. Hier kommt das Rechtsstaatprojekt zum Tragen, das Forer für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Auswärtigen Amts durchführt. Es läuft 18 Monate und wird mit einer Million Euro gefördert. „Als Ergebnis wünschen wir uns ein Konzept zur Verbesserung der forensischen Datenbanken und ein einheitlich geregeltes Verfahren zur Einbeziehung von Opfern“, sagt Viktor Elbling, deutscher Botschafter in Mexiko.

Das Projekt konzentriert sich auf das „Verschwindenlassen“ – laut Völkerrecht ein schweres Menschenrechtsvergehen. In Mexiko löste erst das Verschwinden von 43 Lehramtsstudenten 2014 eine Debatte über ein Gesetz aus, das den Tatbestand definiert. Das Gesetz soll noch 2016 verabschiedet werden. Die Fälle werden künftig bei der Bundesstaatsanwaltschaft gebündelt, die Partner des Projekts ist.

Der Umgang mit Opfern ist ein zweiter Schwerpunkt. Die Defizite sind gewaltig, wie die Geschichte von Reynaldo Buzio zeigt, Avocadobauer aus Tancítaro im Bundesstaat Michoacán. 2009 verschleppten zehn Bewaffnete seinen Sohn am hellichten Tag aus einem Geschäft. „Die Polizei sagte, ich solle das lieber auf sich beruhen lassen“, erzählt der 63-Jährige. Buzio ermittelte selbst, fragte sich bis zum mächtigen Vertreter eines Drogenkartells durch, der ihm erklärte, sein Sohn sei tot und auf einem Hügel außerhalb von Tancítaro verbrannt worden.

Viele Familien zeigen Straftaten nicht an, zu gering ist ihr Vertrauen in die Behörden. Das soll sich ändern, sagt Forer, der acht Jahre im Bürgerkriegsland Kolumbien Erfahrungen gesammelt hat. Der Umgang mit den Opfern ist im internationalen Strafrecht ein junges Thema – bisher stand die Verurteilung der Täter im Fokus. „Dass Opfer möglichst nur einmal befragt und regelmäßig über den Stand der Ermittlungen informiert werden, gehört zu einem respektvollen Umgang dazu.“ An entsprechenden Schulungen nehmen deshalb auch Polizisten, Psychologen und die Mitarbeiter des Callcenters der Bundesstaatsanwaltschaft teil. ▪