„Unsere Geschichte“ fördert Verständnis
Das gemeinsame deutsch-polnische Schulbuch „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ ist komplett für den Unterricht zugelassen.
Es ist eine Sammlung von Fakten, von Jahreszahlen, von Ereignissen, das deutsch-polnische Geschichtsbuch. Aber es ist viel mehr als ein gelungenes Lehrmittel: Es ist ein Symbol für die Anstrengungen Deutschlands und Polens, die unterschiedlichen Perspektiven ihrer wechselvollen Geschichte Schülerinnen und Schülern in beiden Ländern gleichberechtigt zu vermitteln. Und es ist ein wertvolles Beispiel dafür, dass Beharrlichkeit und Ausdauer sich auszahlen. Bereits 2006 hatte der damalige deutsche Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder vorgeschlagen, ein gemeinsames Geschichtsbuch zu erarbeiten, das Polen und Deutschen helfen solle, „sich gegenseitig besser zu verstehen“.
Für das Schuljahr 2024/2025 ist nun auch der letzte Band von „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ für den Unterricht in polnischen Schulen zugelassen worden. Das Werk umspannt die europäische Geschichte von den Anfängen bis heute und vereint die Sichtweisen beider Länder in einer gemeinsamen Darstellung. Bereits seit 2020 ist der jüngste Band fertiggestellt worden; in Deutschland ist es der vierte, in Polen der siebte und achte. In Deutschland ist er schon länger für den Unterricht zugelassen (bis auf Bayern, wegen fehlender regionaler Bezüge), bis Ende 2023 wurden etwa 30.000 Exemplare an Schulen verkauft. In Polen wurden die letzten Bände im Juli von Bildungsministerin Barbara Nowacka für den Unterricht in den Klassen 5 bis 8 der Grundschule zugelassen.
Unterschiedliche Perspektiven auf die Geschichte
Was ist nun das Besondere an diesem Buch? „Wir haben es hier mit dem weltweit zweiten bilateralen Geschichtsbuch zu tun. Zwei Länder, von denen eines – Polen – vom anderen – Deutschland – überfallen und zerstört wurde, erwiesen sich als fähig, eine gemeinsame Erzählung über die Vergangenheit zu schaffen“, sagt der polnische Historiker Professor Robert Traba der Deutschen Welle (DW). Er ist ehemaliger Co-Vorsitzender der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission. Die Entstehung des Werkes hat er von Anfang an begleitet. Vorbild ist das deutsch-französische Geschichtsbuch.
Diese gemeinsame deutsch-polnische Erzählung von Geschichte zu schaffen, ist nicht nur angesichts der entsetzlichen deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs, sondern auch wegen grundsätzlich unterschiedlicher Perspektiven gar nicht so einfach. „Polnische Geschichtsbücher und polnische Schulbücher schauen viel stärker nach Westen als deutsche Geschichts-, Schulbücher oder überhaupt Sachbücher nach Osten, nach Polen schauen. Das heißt, letztendlich lag die größere Vermittlungsaufgabe schon immer auf deutscher Seite“, sagte Professor Hans-Jürgen Bömelburg, Co-Vorsitzender der Schulbuchkommission, gegenüber deutschland.de. Seine polnische Co-Vorsitzende Professorin Violetta Julkowska unterstrich im Gespräch mit der DW die Bedeutung des Konzepts: „Dieses Schulbuch zeichnet sich durch Modernität aus. Es zwingt den Schülern keine Denkweisen auf, sondern wirkt eher als ein Laboratorium, eine Werkstatt, die – mit Hilfe eines guten Lehrers – lehrt, historisch zu denken.“
Treibende Kraft: die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission
Die Arbeit dutzender polnischer und deutscher Forschender an dem ehrgeizigen Projekt hatte 2008 begonnen, fast zwei Jahre nach Steinmeiers Rede. Gefördert wurde sie auf deutscher Seite durch das Auswärtige Amt und die Kultusministerkonferenz der Bundesländer. Entstanden ist eine auf Deutsch und Polnisch in Inhalt, Struktur und Gestaltung identische Ausgabe, die sowohl den Anforderungen für den Geschichtsunterricht in den deutschen Bundesländern wie denen des polnischen nationalen Bildungsplans entspricht. Einer der wichtigsten Akteure bei der Erstellung der Bücher war die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission. Bereits 1972 unter dem Dach der UNESCO-Kommissionen beider Länder gegründet, war sie lange Zeit einige der wenigen Plattformen des Dialogs zwischen bundesdeutscher und polnischer Gesellschaft.