Wohnungsnot: Sind Enteignungen die Lösung?
Enteignungen kosten viel und bringen wenig, findet Wohnungsbauexperte Eichener. Stattdessen rät er zu anderen Maßnahmen.
Wenn sich ein einzelner Haushaltsposten über sieben Jahre um 71 Prozent verteuert, dann ist Verärgerung verständlich - erst recht, wenn es ein so großer Posten ist wie die monatlich fällige Miete. In Berlin ist im Landesdurchschnitt genau das passiert, und mit dieser enormen Preissteigerung ist die Hauptstadt der Spitzenreiter einer Entwicklung, die Mieter in den meisten deutschen Großstädten kennen. Deshalb machten nicht nur die Berliner am Wochenende mobil. Den bundesweiten Aktionstag nutzte der Verein "Mietenvolksentscheid" zum Start seines Volksbegehrens, große Wohnungskonzerne wie die Deutsche Wohnen AG zu enteignen. Seitdem schlägt die Forderung hohe Wellen.
Eigentlich haben die Initiatoren ein halbes Jahr Zeit, um 20.000 Unterschriften zu sammeln. Zwei Tage nach dem Start der Aktion haben aber schon 15.000 unterschrieben. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Berliner Senat sich bald mit den Forderungen befassen muss. Das Volksbegehren ist rechtlich nicht bindend, das heißt, die Abgeordneten können die Forderungen der Unterzeichner auch ablehnen. Der Druck, effektive Maßnahmen gegen die Wohnungsnot in Großstädten zu ergreifen, steigt jedoch.
Volksbegehren ist "ein Stück Klientelpolitik"
Von den geforderten Enteignungen hält Volker Eichener, Professor für Politikwissenschaften an der Hochschule Düsseldorf, nichts. "Die kostbaren knappen öffentlichen Mittel werden für Bestandsmaßnahmen ausgegeben, anstatt sie in die Förderung des Neubaus zu investieren", sagte Eichener der DW. Eine Enteignung der Deutschen Wohnen würde, so Eichener, "ja nur die relativ wenigen Mieter begünstigen, die genau bei diesem Unternehmen wohnen. Insofern glaube ich, dass es sich dabei auch um ein Stück Klientelpolitik handelt." Die größten Probleme hätten jene, die gerade eine neue Wohnung suchen - "und denen wird durch solche Verstaatlichungen nicht geholfen", sagte Eichener. Zudem wäre fraglich, ob das öffentliche Interesse so groß sei, dass man damit eine Verstaatlichung rechtfertigen könne. "Selbst, wenn das durch drei oder vier Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht geht, sind sehr wohl Entschädigungen zu zahlen", so Eichener.
Auch Rückkäufe ohne gesetzlichen Zwang sieht Eichener kritisch: "Die Wohnungsbestände haben teilweise mehrfach die Hand gewechselt, und jedes Mal sind natürlich zusätzliche Gewinne gemacht worden. Und wenn man das jetzt zurückkauft, dann sicherlich zu einem weitaus höheren Preis als dem, den man damals erzielt hat." In den Jahren um den Jahrtausendwechsel hatten viele Städte große Teile ihrer kommunalen Wohnungen privatisiert. Der kurzfristige Geldsegen rächt sich jedoch nun. Allein Berlin habe seine Bestände binnen 15 Jahren annähernd halbiert, sagte Eichener: "Wenn jetzt gerufen wird, dass das Land Berlin wieder eigene Wohnungsbestände aufbauen soll, dann ist das der verzweifelte Versuch, ein Kind aus dem Brunnen zu holen, das man selber dort hinein gestoßen hat." Statt in Rückkäufen sei öffentliches Geld in Neubauten oft besser investiert.
"Bauen, bauen, bauen"
Die Bundesregierung will von Enteignungen großer Wohnungsgesellschaften nichts wissen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier mahnt, allein die Debatte schade der Konjunktur - und den "Interessen von Millionen Mieterinnen und Mietern, weil es dazu geeignet ist, die private Bautätigkeit zu bremsen und zu entmutigen". Die Antwort sei "bauen, bauen, bauen", sagte ein Sprecher des Innenministeriums, das in der aktuellen Legislaturperiode auch für Wohnungsbau zuständig ist. Einige Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag seien bereits eingeleitet worden: Für den sozialen Wohnungsbau, das Baukindergeld, Wohngeld und Städtebauförderung würden mehr als 13 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
"Allein die Förderung des sozialen Wohnungsbaus müsste gegenüber dem gegenwärtigen Niveau - halten Sie sich fest - vervierfacht werden", so Eichener. Der soziale Wohnungsbau schrumpfe, das heißt, es fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, als neue Objekte gefördert werden. "Und das ist für die Märkte Gift", sagte Eichener. Um Sozialwohnungen zu schaffen, fördert der Staat private Bauprojekte. Im Gegenzug dürfen Geringverdiener mit einem so genannten Wohnberechtigungsschein für einen festgelegten Zeitraum dort besonders günstig wohnen - was sich wiederum mindernd auf die Vergleichsmieten auswirkt. Eichener empfiehlt, dass die öffentliche Hand wieder massiv investiert, um längere Sozialbindungen durchzusetzen.
Vielfalt statt Mietpreisbremse
In der vorangegangenen Legislaturperiode haben Union und SPD bereits versucht, den Preisanstieg in den Städten mit der sogenannten Mietpreisbremse abzufedern - allerdings profitierten davon auf einem leergefegten Markt nur die Reichen, sagte Eichener der DW: "Der Vermieter kann sich die Mietinteressenten aussuchen, die ihm als beste Risiken vorkommen." Deshalb erhielten eher Beamtenpaare den Zuschlag als Arbeitnehmer oder Studierende.
Wer in deutschen Städten Wohnungen zu welchen Konditionen vermietet, ist gar nicht so leicht herauszufinden. Das Recherchezentrum Correctiv programmierte deshalb eine Website, in der Mieter selbst Daten eingeben können. Die Ergebnisse des Projekts "Wem gehört Hamburg?" wurden im November veröffentlicht, in Berlin und Düsseldorf laufen ähnliche Erhebungen gerade. Jede dritte Hamburger Wohnung gehört demnach dem städtischen Wohnungsbauunternehmen SAGA.
Kommunale Vermieter bilden laut Volker Eichener gute Alternativen zu gewinnorientierten Anbietern: "Gegen Auswüchse mit Wohnungsmarkt hilft erstens eine pluralistische Struktur von Wohnungsanbietern - und zweitens ein hoher Anteil an öffentlich geförderten Wohnungen."