„Vorreiter sollten Allianzen bilden“
Welche Rolle spielt Lateinamerika bei der Lösung des Klimaproblems? Ein Interview vor dem Klimagipfel in Peru.

Herr Ott, Sie reisen als Beobachter zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen Ende 2014 in Lima. Viele Menschen stehen den Klimagipfeln inzwischen skeptisch gegenüber, weil es kaum Fortschritte gibt. Was erwarten Sie von dem Treffen?
Ich kann die Enttäuschung sehr gut nachvollziehen. Ich finde, dass die globalen Verhandlungen durch einen neuen Ansatz ergänzt werden müssen. Beim jetzigen Vorgehen braucht man immer einen Konsens, eine Zustimmung aller Staaten. Deshalb ist das, was die Klimakonferenzen erreichen können, nur der kleinste gemeinsame Nenner. Ergänzend sollte es Allianzen von Vorreitern auf diesem Gebiet geben, ich nenne sie „Klimaclubs“. Darin könnten sich diejenigen Staaten zusammentun, die tragfähige Konzepte entwickeln und auch umsetzen wollen. Sie könnten sich dabei gegenseitig helfen und stützen. Wenn man das Beste nicht erreichen kann, muss man schauen, was das Zweitbeste ist.
Trotz seiner Mängel ist der Prozess der Klimarahmenkonvention aus Sicht der deutschen Bundesregierung aber unverzichtbar. Sie sehen eine Möglichkeit für Fortschritte darin, nicht alle Länder „mitzunehmen“?
Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, Fortschritte zu erzielen. Die Länder, die echte Verbesserungen anstreben, müssen untereinander noch stärker kooperieren. Peru, das Gastgeberland des Klimagipfels, könnte dabei durchaus eine Rolle spielen, weil es Klimapolitik ernst nimmt. Das hat man in früheren Verhandlungen immer wieder gemerkt. Überhaupt ist die Chance groß, dass lateinamerikanische Staaten an der künftigen Entwicklung in diesem Bereich maßgeblich mitwirken. Peru ist Mitglied einer fortschrittlichen Verhandlungsgruppe, der neben weiteren Ländern auch Chile, Kolumbien und Guatemala angehören.
Das große Interesse an diesen Themen hat sicher auch mit einer besonderen Betroffenheit zu tun.
Peru gehört eindeutig zu den Staaten, die durch den Klimawandel in hohem Maße bedroht sind. Das liegt vor allem an den umfangreichen Regenwaldgebieten. Auch die Bergregionen sind gefährdet, denn kleinste Temperaturveränderungen können hier massive Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt haben. Außerdem ist ein erheblicher Teil Perus von Gletschern bedeckt, die in den vergangenen 75 Jahren bereits zu fast 40 Prozent abgeschmolzen sind. Entsprechend stark setzt sich das Land für schnelle, aber langfristige Lösungen in Klima- und Umweltfragen ein. Das war natürlich auch einer der Gründe dafür, dass es den Zuschlag für die Konferenz bekommen hat.
Das Treffen in Lima ist bereits die vierte VN-Klimakonferenz in Lateinamerika.
Tatsächlich herrscht in der Region ein großes Bewusstsein dafür, dass die Klimaveränderungen massiv in das Leben der Menschen eingreifen werden. Viele Bereiche sind davon betroffen: die Ökologie, die Landwirtschaft, die Wirtschaft insgesamt.
Deutschland hat 2014 eine Rohstoffpartnerschaft mit Peru abgeschlossen. Mit Chile besteht schon länger eine entsprechende Vereinbarung. Was bringen solche Kooperationen?
Rohstoffpartnerschaften und ein privilegierter Zugang zu Ressourcen können ein wichtiger Schritt sein, engere Netzwerke zwischen denjenigen Industrie- und Entwicklungsländern zu bilden, die im Klimaschutz schneller vorangehen wollen. Es ist gut, dass solche Kooperationen jetzt auch mit lateinamerikanischen Staaten zustande kommen, nachdem es sie zuvor nur mit Kasachstan und der Mongolei gab – zumal es gelungen ist, dabei die Sicherung von sozialen und ökologischen Standards zu vereinbaren.
Also auch hier lieber zurück zur Kooperation im kleineren Rahmen?
Privilegierte Partnerschaften zwischen den Staaten, die sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben haben, müssen in den nächsten Jahren ein wesentliches Merkmal unserer Bemühungen werden. Es ist völlig illusorisch zu meinen, dass man kurzfristig alle ins Boot holen kann. Kleinere Gruppen sollten vorangehen und dann den Teilnehmerkreis beständig ausweiten. Diesen Ansatz müssen wir – zumindest parallel zu globalen Kooperationsverhandlungen – fortführen und forcieren.
Das Wuppertal-Institut hatte kürzlich Besuch von einer Delegation der Pazifik-Allianz mit Vertretern aus Chile, Peru, Kolumbien, Mexiko und Costa Rica. Inwiefern ist es für eine Forschungseinrichtung wie Ihre wichtig, die Region im Blick zu haben?
Sehr wichtig. Wir haben einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Lateinamerika und verfolgen dort eine ganze Reihe von Projekten. Ein wunderbares Beispiel für die Zusammenarbeit ist unsere Reihe „WISIONS“. Über eine Stiftung werden dabei kleine, aber vielversprechende Modelle für nachhaltige Energielösungen und zur Stärkung von Ressourceneffizienz in Lateinamerika und anderen Regionen in der ganzen Welt gefördert. Diese Beispiele zeigen, wie viel man auf lokaler Ebene bewegen kann.
Könnte die deutsche Energiewende – nicht nur auf lokaler Ebene, sondern insgesamt – für Länder in Lateinamerika ein Vorbild sein?
Ich habe das immer so empfunden. Gerade das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz, das – wenn auch nicht in so weitgehender Form – in der Welt dutzendfach kopiert wurde, ist eine sehr sinnvolle Form der Klimafinanzierung. Auf der internationalen Ebene wäre es gut, wenn Industriestaaten in einen Fonds einzahlen würden, der in den Entwicklungsländern die Einspeisevergütung finanziert. In ärmeren Regionen der Welt können die Konsumenten die erhöhte finanzielle Belastung nicht tragen. Wenn man aber die Differenz zwischen dem Marktpreis und der garantierten Vergütung übernähme, hätte man die Gewähr, dass das Geld wirklich in die Erzeugung Erneuerbarer Energien fließt. ▪
Interview: Helen Sibum
HERMANN OTT beschäftigt sich beim Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie mit globalen Nachhaltigkeits- und Wohlfahrtsstrategien. Er arbeitet im Berliner Büro des Instituts.
„WISIONEN“ FÜR LATEINAMERIKA
Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie erforscht Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Die meisten der 250 Mitarbeiter sind Wissenschaftler aus Bereichen wie Natur, Geografie, Planung, Politik und Wirtschaft. Eigentümer des Instituts ist das Land Nordrhein-Westfalen. Die Einrichtung wurde 1991 vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau gegründet.
In Lateinamerika ist das Wuppertal-Institut unter anderem über das Programm „WISIONS“ aktiv. Es unterstützt Nichtregierungsorganisationen und andere lokale Partner bei der Umsetzung meist kleinerer, aber innovativer Projekte zum Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dabei geht es etwa um solarbetriebene Verkehrsmittel in Argentinien oder Energieeffizienz bei der Kakaoverarbeitung in Ecuador.