„Es ist wichtig, Vertrauen aufzubauen“
Auf Einladung des Auswärtigen Amts tauschten sich internationale Medienschaffende und Forschende dazu aus, wie Fachkräftemigration so gelingen kann, dass alle davon profitieren.

Gut ausgebildete Fachkräfte mit Unternehmen zusammenzubringen, die diese dringend benötigen: Das ist herausfordernd. Angebot und Nachfrage müssen abgeglichen werden, die benötigten Kompetenzen den Profilen der Bewerberinnen und Bewerber entsprechen. Rasha Sharaf arbeitet an einer Lösung. Sharaf ist Generalsekretärin des Bildungsentwicklungsfonds der ägyptischen Regierung. Zusammen mit ihrem Team hat sie eine interaktive Datenbank entwickelt, die ägyptischen Fachkräften dabei helfen soll, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Wir sammeln Stellenanzeigen von LinkedIn und deutschen Jobportalen und ordnen sie auf einer Deutschlandkarte Städten und Regionen zu“, erklärt sie. „Das kombinieren wir mit Informationen zu den Fachrichtungen und Abschlüssen der ägyptischen Fachkräfte.“
In einem Tagungsraum des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) in Berlin zeigt sie, wie man sich durch verschiedene Darstellungs- und Filteroptionen des „International Labour Market Observatory“, so der Name der Plattform, navigieren kann. Sharaf ist Teil einer Gruppe von zwölf internationalen Expertinnen und Experten zum Thema Migration, darunter viele Journalistinnen und Journalisten, die im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland angereist sind. Am Tisch sitzen auch Mitarbeitende des BMAS. Es ist der erste Termin an einem eng getakteten Tag. Später stehen unter anderem noch ein Besuch im Gesundheitsministerium und an der Universitätsklinik Charité.
Bedarf an 400.000 neuen Arbeitskräften jährlich
Im BMAS erfährt die Gruppe, was Deutschland unternimmt, um mehr ausländische Fachkräfte beschäftigen zu können. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Rund 400.000 neue Arbeitskräfte braucht Deutschland jährlich, um den Bedarf an gut ausgebildeten Menschen in den kommenden Jahren zu decken. Besonders hoch ist dieser in den Bereichen Pflege, Erziehung, Handwerk, IT, Gastronomie und Hotellerie. Das kürzlich reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz ermöglicht Einreise und Arbeitsaufnahme, noch bevor eine formale Anerkennung abgeschlossen ist. Über eine Anerkennungspartnerschaft kann die ausländische Qualifikation mit Unterstützung des Arbeitgebers anerkannt werden. Hinzu kommt die Einführung einer Chancenkarte nach dem Vorbild der kanadischen „Opportunity Card“. Sie erlaubt einen Aufenthalt von bis zu einem Jahr zur Jobsuche.
Um die Rahmenbedingungen für eine schnelle Anerkennung weiter zu verbessern, setzt Deutschland zunehmend auf bilaterale Kooperationen im Rahmen sogenannter „Global Skills Partnerships“. Deren Ziel ist es, deutsche Zusatzmodule in das Curriculum der jeweiligen Ausbildungs- und Studienangebote der Partnerländer zu integrieren. Solche Partnerschaften bestehen unter anderem mit Kolumbien, Ghana, Indien und Ägypten – Länder, die auch bei der Besucherreise vertreten sind. Diana Amparo Hernandez beschäftigt sich im kolumbianischen Arbeitsministerium mit Eingliederungsstrategien für marginalisierte Bevölkerungsgruppen in der öffentlichen Arbeitsverwaltung. Sie findet die Partnerschaft mit Deutschland hilfreich. „Wir haben viele gut ausgebildete Fachkräfte, die offen dafür sind, ins Ausland zu gehen. Die Angleichung der Curricula hilft enorm dabei, den Anerkennungsprozess zu vereinfachen.“
Vertrauen aufbauen
Bei der Vermittlung von Fachkräften für den eigenen Arbeitsmarkt ist Deutschland auch auf private Agenturen angewiesen. Fast 90 Prozent der etwa dringend benötigten Fachkräfte im Bereich Pflege werden über solche Organisationen rekrutiert. Leider fällt es bei einem erheblichen Teil dieser Agenturen schwer, deren Vertrauenswürdigkeit auf den ersten Blick einzuschätzen. Im Bundesgesundheitsministerium erfährt die Gruppe von einem Qualitätssiegel, das das Ministerium aus diesem Grund 2021 eingeführt hat: „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“. Es basiert auf internationalen Standards der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und umfasst klar definierte Verträge, Kostenfreiheit für Bewerberinnen und Bewerber und verpflichtende Integrationsmaßnahmen wie insbesondere das Sprachtraining. Samata Biswas, Assistant Professorin an der Sanskrit University in Kalkutta und Migrationsforscherin, lobt insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts. In einer kürzlich durchgeführten Kampagne in ihrem Heimatland wurden rund 600.000 Menschen erreicht. Die Zielgruppe: junge Frauen zwischen 18 und 24 Jahren. „Es ist wichtig, Vertrauen aufzubauen“, sagt sie.
Das ist auch für Toka Abo Heiba ein zentraler Punkt. Heiba arbeitet als Social-Media-Redakteurin bei Cairo 24, einer der führenden ägyptischen Nachrichten-Websites. Das Thema Migration begegnet ihr oft in ihrer täglichen Arbeit. An gut ausgebildeten jungen Menschen mangele es nicht, berichtet sie, jedoch mache sie sich Gedanken über die konkreten Lebensbedingungen ausländischer Fachkräfte in Deutschland. Werden sie diskriminiert? Können sie ihren Glauben ohne Einschränkungen praktizieren? „Von der Besucherreise erwarte ich mir, mehr über den Alltag muslimischer Fachkräfte in Deutschland zu erfahren.“
Positive Erfahrungen in Deutschland
Am Nachmittag bekommt sie genau hierzu Gelegenheit. Die Gruppe ist zu Besuch am Virchow-Campus des Krankenhauses Charité im Berliner Stadtteil Wedding. Seit 2022 rekrutiert die Klinik über eine eigens dafür eingerichtete „Stabsstelle Integration“ Pflegekräfte aus verschiedenen Ländern. Neue Mitarbeitende werden am Flughafen abgeholt und von Anfang an bezahlt. Es gibt Unterstützung bei der Einrichtung von Bankverbindung und Telefonvertrag, den Pflegerinnen und Pflegern steht für anderthalb Jahre nach Ankunft in Deutschland eine Unterkunft zur Verfügung. Danach hilft die Klinik bei der Wohnungssuche.
Der Besuch am Klinik-Campus beginnt mit einer Führung durch die Frauenklinik. Dort sollen die Teilnehmenden die Gelegenheit bekommen, mit Pflegerinnen und Pflegern aus dem Charité-Programm in Kontakt kommen. In einem Patientenzimmer lernen sie eine Pflegekraft aus Syrien kennen. Während die anderen schon in den nächsten Flur abbiegen, nutzt Heiba die Gelegenheit, um sich allein mit der jungen Frau auf Arabisch auszutauschen. Was sie wenig später erzählt, klingt überaus positiv: „Ich habe sie sehr direkt gefragt, wie es ihr gehe hier in Deutschland. Und sie hat mir versichert, dass man sich sehr um sie kümmert, dass auch niemand ein Problem damit hat, dass sie ein Kopftuch trägt.“
Bleibt die Debatte um den Verlust der Fachkräfte für den heimischen Arbeitsmarkt. Dies spiele politisch natürlich eine Rolle, gibt Diana Hernandez aus Kolumbien zu. Das eigentliche Problem sieht sie aber nicht im sogenannten Braindrain. „Statt uns zu beschweren, dass Menschen im Ausland arbeiten wollen, müssen wir die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen zu Hause verbessern. Und Migrationsforscherin Samata Biswas weist auf einen weiteren Aspekt hin: Arbeitskräfte im Ausland sind durch ihre Geldtransfers in die Heimat ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor für die Herkunftsländer. „Geht man es richtig an, kann Fachkräftemigration zur Win-win-Situation für alle Beteiligten werden.”