„Viele wenden ihr Leben zum Besseren“
Sandra Vermuijten leitet in Nigeria Beratungszentren. Die Zentren unterstützen Rückkehrer und Menschen, die in Europa arbeiten möchten.
In Deutschland arbeiten oder eine Ausbildung machen? Oder Schulungen in Nigeria absolvieren? Bei all dem helfen die Zentren für Migration und Entwicklung (ZME). Wir haben mit Sandra Vermuijten gesprochen, der Leiterin der Zentren in Nigeria.
Frau Vermuijten, was ist die Aufgabe der ZME in Nigeria?
Die ZME bauen auf dem Programm Migration für Entwicklung auf, das von 2017 bis 2023 in verschiedenen Ländern umgesetzt wurde. Wir unterstützen seither Menschen, die aus Deutschland zurückkehren, bei der Reintegration in den nigerianischen Arbeitsmarkt, und bieten der lokalen Bevölkerung Möglichkeiten, in Nigeria eine Beschäftigung zu finden oder ein Unternehmen zu gründen. Zudem beraten wir Menschen, die sich für eine reguläre Migration nach Deutschland, Europa oder in andere westafrikanische Länder interessieren. Seit dem Start der ZME im Jahr 2023 liegt unser Fokus noch stärker auf diesem Aspekt.
Wie viele Beratungszentren gibt es in Nigeria?
Die ersten Nigerianisch-Deutschen Zentren für Migration und Entwicklung (NGC) entstanden in Lagos, Abuja und Benin City. Wir arbeiten eng mit dem nigerianischen Arbeitsministerium und dessen Migrant Resource Centers (MRC) zusammen. Lagos hat mehr als 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Also eröffneten wir dort eine zweite Anlaufstelle des MRC. Auch in Benin City sind wir heute an zwei Orten. In Abuja ließen sich 2021 und 2022 insgesamt 20.000 Menschen beraten. Mehr als 60 Prozent von ihnen leben in Nyanya, an der Grenze zwischen Abuja und dem Bundesstaat Nasarawa. Das MRC hat dort im Februar 2024 ein weiteres Zentrum eröffnet, unterstützt von den NGC. Wir wollen ein stärkeres Netz aus öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen schaffen, um die Informationen näher an die Menschen zu bringen. Wir möchten, dass es in jedem nigerianischen Bundesstaat ein Migrationsbüro gibt, das mit staatlichen und lokalen Behörden zusammenarbeitet.
Wie kommt das Zentrum in Nyanya bisher an?
Schon vor der Eröffnung bildeten die Leute eine Schlange, sobald sie die Mitarbeitenden sahen. Seit der Eröffnung haben Hunderte von jungen Menschen die Beratungsdienste in Anspruch genommen. Aber nicht alle unsere Leistungen werden in den Zentren erbracht, sie sind erste Anlaufstellen. Für die Schulungen und Weiterbildungen leiten wir die Klientinnen und Klienten an andere Organisationen weiter.
Welche Schulungen gibt es?
Wir bieten Weiterbildungen an, die auf dem nigerianischen Arbeitsmarkt gefragt, aber auch für andere Regionen relevant sind. Dazu gehören digitale Fertigkeiten, etwa in den Bereichen Cybersicherheit, digitale Mustererstellung, Grafikdesign, aber auch Systemadministration und gängige Büroanwendungen. Auch in den Bereichen erneuerbare Energien, Bauwesen, Automechanik oder Gastgewerbe bieten wir Schulungen an. Es braucht ein breites Angebot, sonst suchen sich die Leute etwas aus, was sie nicht wirklich wollen oder nicht zu ihnen passt. Wir versuchen, nach individuellen Lösungen zu suchen – mit Erfolg. Zwischen 60 und 70 Prozent unserer Klientinnen und Klienten können ihr Einkommen deutlich steigern.
Welche Perspektiven haben Nigerianerinnen und Nigerianer, die nach Deutschland auswandern?
Es hängt von Sprachkenntnissen und Bildungshintergrund ab. Wer nur geringe Deutschkenntnisse hat, findet eher im IT-Sektor und womöglich auch im Bau- oder Gastgewerbe einen Job. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz gibt es mehr Möglichkeiten, eine Ausbildung in Deutschland zu machen und die Sprache dort zu lernen. Ich denke, der Migrationsprozess ist flexibler geworden. Migration verändert sich.
Was sind die Vorteile der Zentren für Nigeria und Deutschland?
Es gibt viele nigerianische Arbeitsmigrantinnen und -migranten auf der Welt, leider werden einige ausgebeutet und fallen Schleppern zum Opfer. Das hat zu einer stärkeren Konzentration auf Migration und die Rechte von Arbeitsmigranten geführt. Die Migrationspolitik in Nigeria hat in den vergangenen fünf Jahren an Bedeutung gewonnen. Nicht nur die Beratungszentren sind wichtiger geworden, auch die Strukturen auf staatlicher Ebene sind stärker darauf ausgerichtet, Services in Hinblick auf Beschäftigung und Migration anzubieten. Was Deutschland betrifft, denke ich, dass die Zentren zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beitragen, Fachkräfte werden dringend benötigt. Migration ist ein viel diskutiertes Thema, um das sich zahlreiche Mythen ranken, mit denen es aufzuräumen gilt. Ich finde die Diskussion über die Fachkräftezuwanderung sehr positiv, sie nützt beiden Seiten.
Welche Klienten sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Wir haben einen Youtube-Kanal, der Erfolgsgeschichten erzählt. Es gibt zum Beispiel einen Datenwissenschaftler, der über uns Schulungen absolviert hat. Er lernt nun Deutsch und hat bereits angefangen, remote für eine deutsche Firma zu arbeiten. Ein anderer Klient ist blind, er hat Sozialarbeit studiert, aber fand keine Anstellung. Er erkundigte sich nach Stipendien für Deutschland. Wir stellten ihm alle Informationen zur Verfügung. Aber er war es, der – wie alle anderen Klientinnen und Klienten auch – Formulare ausfüllte, Bewerbungen schrieb, sein Visum beantragte. Er beginnt nun ein Masterstudium in Deutschland. Viele Rückkehrerinnen sind in die Modebranche gegangen und haben eigene Unternehmen gegründet. Es war wunderbar mitzuerleben, wie so viele Menschen ihr Leben zum Besseren wenden.
_______________________________________
Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert in ausgewählten Ländern Zentren für Migration und Entwicklung (ZME). Betrieben werden die Zentren von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des BMZ. In Nigeria gibt es Beratungsstellen an mehreren Orten. Die von der Belgierin Sandra Vermuijten geleiteten Zentren arbeiten eng mit dem Arbeitsministerium des Landes zusammen.