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Ein Jahr in Deutschland, viele neue Geschäftsideen

Bei der Initiative „Afrika kommt!“ bilden sich afrikanische Nachwuchskräfte in deutschen Unternehmen weiter – und die Firmen profitieren vom Wissen der Afrikaner.

07.07.2016

Aus Abwasser Geld machen? Lucy Mutinda weiß seit einem Aufenthalt in Deutschland genau, wie das geht. Die Kenianerin ist Geschäftsführerin von Ecocycle Ltd, einer Firma, die Kleinkläranlagen installiert. Auf die Geschäftsidee kam sie, als sie an „Afrika kommt!“ teilnahm – einer Initiative zur Weiterbildung junger Führungskräfte aus Ländern Afrikas südlich der Sahara. In Deutschland besuchte sie viele Technologieparks und Anlagen. „Ich war sehr neugierig, wie das Abwassermanagement in Deutschland funktioniert“, sagt Mutinda. „Und voilà, da war meine Geschäftsidee geboren.“

Lucy Mutinda ist eine von mittlerweile 76 Nachwuchskräften, die seit 2008 an „Afrika kommt!“ teilgenommen haben. 19 führende deutsche Unternehmen gründeten die Initiative. Sie nehmen Stipendiaten auf und möchten sie zu Führungskräften fortbilden. „Die Teilnehmer erhalten dadurch internationale Erfahrung und können ihre Karriere voranbringen“, sagt Lydia Jebauer-Nirschl, Projektleiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die GIZ organisiert das Stipendienprogramm.

Auf der anderen Seite können die Firmen neue Partner in Afrika gewinnen. „Die Unternehmen profitieren von dem Wissen und der Erfahrung der Stipendiaten über Kultur und Märkte in Afrika. So trägt die Initiative dazu bei, dass zwischen der deutschen und afrikanischen Wirtschaft weitere Brücken gebaut werden.“ Derzeit läuft das Programm in der fünften Runde.

Die Stipendiaten sind Hochschulabsolventen mit ein paar Jahren Berufserfahrung. Sie besuchen vor ihrer Reise nach Europa einen Deutschkurs und vertiefen dann ihre Sprachkenntnisse in Deutschland. Während des einjährigen Aufenthalts in Deutschland besuchen sie mehrere Managementkurse für Führungskräfte. Darin geht es um Themen wie Projekt- und Change-Management oder interkulturelle Kommunikation. Dieses Wissen nutzen sie später in ihrem Heimatland. „Die Managementtrainings waren hervorragend“, sagt Lucy Mutinda. „Ich habe die gleichen Trainings in Kenia mit unseren Mitarbeitern durchgeführt. Das hat unsere Teamarbeit wirklich sehr effizient und effektiv gemacht.“

Der bedeutendste Teil des „Afrika kommt!“-Programms ist der Praxisteil in den Unternehmen. Acht Monate lang arbeiten die Nachwuchskräfte in einem deutschen Großunternehmen. Eines der Unternehmen, das an der Initiative teilnimmt, ist Merck. Bei dem Wissenschafts- und Technologieunternehmen lernen die jungen Afrikaner zunächst, wie die Prozesse in ihrem Fachgebiet in Europa ablaufen – zum Beispiel im Vertrieb. Dann arbeiten sie eigenständig an einem Projekt. So hat beispielsweise eine Kenianerin an einer Markteintrittsstrategie für ein Nahrungsergänzungsmittel in ihrem Land gearbeitet. Um Erfahrungen auszutauschen, finden neben der Projektarbeit auch Treffen mit der Geschäftsleitung oder Mitarbeitern anderer Abteilungen statt.

Von der Zusammenarbeit profitieren zum einen die afrikanischen Nachwuchskräfte: „Sie lernen die Arbeit in einem multinationalen Unternehmen, neue Prozesse und Technologien kennen“, berichtet Anja Heinrich, die bei Merck für das Talententwicklungsprogramm verantwortlich ist. Zum anderen profitiert das Unternehmen: Die jungen Afrikaner kennen die Märkte ihrer Heimatländer genau. Sie wissen, auf welche kulturellen Besonderheiten man achten muss, um beispielsweise Kooperationspartner zu gewinnen – und sie bringen häufig auch unkonventionelle Ideen ein. „Es ist herausragend, was sie in wenigen Monaten bewirken“, sagt Ralf König, Leiter des Bereichs Performance Materials International Sales. Kein Wunder also, dass fast alle Alumni bei dem Unternehmen geblieben sind und nun in oder für das Geschäft mit Afrika arbeiten.

In dem Jahr in Deutschland nehmen sie auch an Wochenendseminaren der Robert-Bosch-Stiftung und der ZEIT-Stiftung teil. Sie absolvieren eine Study-Tour, bei der es zum Beispiel um regionale Wirtschaftsförderung geht. Auf dem Programm stehen auch Ausflüge auf dem Rhein oder ein Besuch in der Berliner Philharmonie. „In der Zeit soll es nicht nur darum gehen zu arbeiten, sondern auch Deutschland kennenzulernen“, sagt Projektleiterin Jebauer-Nirschl.

Mitte Februar 2016 empfing Außenminister Frank-Walter Steinmeier die angehenden Führungskräfte im Auswärtigen Amt. Bei dem Besuch erhielten sie am Ende eines zweistündigen Gesprächs ihre Abschlusszertifikate. Auch Bundespräsident Joachim Gauck empfing die Afrikaner. Bei dem Besuch betonte er: „Nicht zuletzt waren und sind Sie eine Bereicherung für die Partnerunternehmen: Die deutschen Kollegen haben von Ihnen viel über afrikanische Arbeitsweisen und afrikanische Märkte gelernt. Auf den Punkt gebracht: Sie, liebe Stipendiaten, lernen von Deutschland – und Deutschland lernt von Ihnen“, so Gauck.

Und die Zusammenarbeit geht nach dem Aufenthalt in Deutschland weiter. Nach der Rückkehr in ihre Heimatländer bleiben die Nachwuchsführungskräfte über die Alumni-Netzwerke der GIZ miteinander in Verbindung. Zudem helfen sie bei der Kandidaten-Auswahl für zukünftige Jahrgänge. Mittlerweile bewerben sich mehr als 3000 Kandidaten für „Afrika kommt!“.

Lucy Mutinda hat während ihrer Zeit in Deutschland ihre Geschäftsidee entwickelt. Nach ihrem Besuch möchte sie auch anderen neue Chancen ermöglichen. Gemeinsam mit deutschen Partnern unterstützt sie bedürftige Kinder ihres Heimatdorfes und zahlt ihnen beispielsweise die Schulgebühren. So sind durch die neuen Möglichkeiten, die Lucy Mutinda bekommen hat, auch für andere neue Perspektiven entstanden. ▪

Hendrik Bensch