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An das Grauen erinnern

US-Präsident Biden hat die KZ-Gedenkstätte Dachau schon öfter besucht – und auch kritisch betrachtet. Ein Klärungsversuch.

Johannes Göbel, 24.03.2021
Joe Biden beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau im Februar 2015
Joe Biden beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau im Februar 2015 © Toni Heigl

Was verbindet US-Präsident Biden mit der KZ-Gedenkstätte Dachau?

Joe Biden schreibt über die KZ-Gedenkstätte Dachau in seinem 2017 erschienen Buch „Promise Me, Dad“, das 2020 unter dem Titel „Versprich es mir“ auf Deutsch veröffentlicht wurde. Biden schildert, wie er die KZ-Gedenkstätte im Februar 2015 mit seiner Enkeltochter Finnegan besucht. Schon seine Kinder Beau, Hunter und Ashley hatte Biden jeweils auf getrennten Reisen mit in die KZ-Gedenkstätte genommen. „Ich war davon überzeugt, dass alle meine Kinder und Enkel diesen Ort einmal erlebt haben sollten“, schreibt er über das ehemalige Konzentrationslager, das am 29. April 1945 von US-Truppen befreit worden war.

Was kritisiert Biden?

Die mahnende Erinnerung an Nazi-Terror und Shoah droht laut Biden zu verblassen. Über seinen Besuch mit Finnegan schreibt er: „Denselben Weg war ich 30 Jahre zuvor auch mit Finnegans Vater Hunter gegangen, aber irgendwie war es diesmal anders. Es schien, als hätte man umgeräumt, um es für die Besucher weniger bedrückend zu machen.“ Auch gebe es in Dachau Fremdenführer, laut denen in diesem KZ „Häftlinge nie vergast wurden, oder man hätte die Gaskammer nur wenige Male benutzt“.

Wie hat die KZ-Gedenkstätte Dachau auf Bidens Kritik reagiert?

„Man darf Präsident Biden dankbar sein, dass er in seinen Erinnerungen die Frage von Authentizität und Überformungen am Gedenkort Dachau aufwirft, wobei er sich mutmaßlich auf den neu gestalteten Eingangsbereich im Vorfeld der Gedenkstätte bezieht“, sagt Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Eingangssituation habe sich zwischenzeitlich stark verändert. Jahrzehntelang sind die Besucherinnen und Besucher gewissermaßen über den Hintereingang auf das Gelände gekommen, direkt in das frühere Häftlingslager. Hammermann erläutert: „Die Überlebenden, die sich 1955 im Comité International de Dachau zusammengeschlossen hatten, um für eine würdige Gedenkstätte zu kämpfen, setzten sich dafür ein, dass der historische Zugang zum Konzentrationslager, also der Weg durch das sogenannte Jourhaus mit dem Tor und der zynischen Inschrift ‚Arbeit macht frei‘, auch zum Eingang in die Gedenkstätte wird. Seit dem 60. Jahrestag der Befreiung im April 2005 kann man die Gedenkstätte über den historischen Zugang betreten. Die veränderte Zugangssituation zusammen mit dem neu errichteten Besucherzentrum hat Biden vermutlich als weniger drastisch empfunden.“

Historisches Eingangstor des Konzentrationslagers Dachau
Historisches Eingangstor des Konzentrationslagers Dachau © dpa

Zur Gaskammer ordnet Hammermann ein: „Die Gaskammer im Krematorium des KZ Dachau wurde nicht zur massenhaften Ermordung von Menschen durch Giftgas genutzt. Vereinzelte Zeitzeugenberichte deuten darauf hin, dass in der Gaskammer an einigen Häftlingen Versuche mit Kampfgas durchgeführt wurden.“ Warum das NS-Regime eine funktionstüchtige Gaskammer im Krematorium des KZ Dachau errichten ließ und diese dann nicht für die massenhafte Ermordung von Häftlingen durch Giftgas einsetzte, ließe sich angesichts der fragmentarischen Quellenlage nicht klären. Hammermann betont aber auch, dass die Angestellten der Bildungsabteilung der Gedenkstätte die wissenschaftlich fundierten Kenntnisse konsequent und differenziert an die Besucherinnen und Besucher vermittelten.

Wie geht es mit der KZ-Gedenkstätte Dachau weiter?

Die KZ-Gedenkstätte Dachau wird im Rahmen einer anstehenden Neugestaltung weitere Relikte und historische Spuren freilegen sowie Gebäude wie die Lagerkommandantur und die ehemalige SS-Lagerwache mit einbeziehen. Gabriele Hammermann erläutert: „Wir möchten mit der nächsten Neugestaltung die erste Phase des KZ Dachau in den Jahren 1933 bis 1937 stärker zum Vorschein bringen, da sie maßgeblich für die Entstehung des KZ-Lagerwesens war.“ Sie ergänzt: „Perspektivisch ist vorgesehen, die Prozessgebäude der Dachauer Prozesse in das Gedenkstättenareal einzubeziehen. Die US-Amerikaner haben in diesen Prozessen rund 500 Verfahren durchgeführt. Dabei haben sie bereits berücksichtigt, dass man sich schon beim Eintritt in die SS zum Mord verpflichtete. Diese Rechtshaltung wurde in der Bundesrepublik erst Jahrzehnte später aufgegriffen.“

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