Gegen das Vergessen
Begegnung am Ort des Schreckens: Jugendliche aus der ganzen Welt kommen in Dachau zusammen, wo die Nazis Zehntausende Menschen ermordeten.
Sie kommen aus Algerien, El Salvador, Israel, Polen und fast 20 weiteren Ländern: Rund 100 Jugendliche sind zur Internationalen Jugendbegegnung im bayerischen Dachau gereist. Zwei Wochen lang setzen sie sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinander. Sie besuchen Workshops und treffen Zeitzeugen. „Erinnern, begegnen, verstehen, Zukunft gestalten“, so lautet der Gedanke.
Die Internationale Jugendbegegnung gibt es seit 1983, Jugendliche aus der Region haben sie initiiert. Ein internationales Team ehrenamtlicher Helfer betreut die Gäste – viele von ihnen waren selbst einmal Teilnehmer. Der Treffpunkt Dachau ist nicht zufällig gewählt: In Dachau eröffneten die Nazis 1933 das erste Konzentrationslager. Mehr als 40.000 Menschen starben dort.
Wie erleben die jungen Teilnehmer die Begegnung an diesem Ort?
„Andere Perspektiven auf den Holocaust“
Ela Gorden, 17, Israel
„Als ich meinen Freunden erzählte, dass ich hierher fahre, waren sie verwirrt. Ihnen war gar nicht klar, dass Dachau eine Stadt ist und nicht nur ein ehemaliges Konzentrationslager. Ich war einfach neugierig. Ich wusste nicht genau, was mich erwartet. Jetzt kann ich sagen: Das Tolle an der Jugendbegegnung ist, dass ich andere Perspektiven auf den Holocaust kennenlerne. Ich habe zum Beispiel einen Workshop über Homosexuelle besucht, die von den Nazis ermordet wurden. Das hat mir die Augen für weitere Geschichten geöffnet, genau wie das Zusammensein mit den anderen Jugendlichen hier. Es ist so schön, diese vielen Menschen und ihre Hintergründe kennenzulernen. Aus den Workshops und aus den Begegnungen nehme ich mit, dass Kommunikation das Allerwichtigste ist. Dass man von jedem etwas lernen kann, wenn man offen ist und sich auf die Perspektiven anderer einlässt.“
„Nie wieder ausgrenzen“
Jesús Eduardo Calvillo García, 18, Mexiko
„Dass man so viele Zeitzeugen trifft, ist mit am besten an der Jugendbegegnung. Diese Überlebenden haben mich sehr beeindruckt. Wenn man mit ihnen spricht, lernt man nicht einfach etwas über die Geschichte – man fühlt sie auch. Wenn man die Vergangenheit begreift, versteht man die Gegenwart und kann die Zukunft gestalten. Deshalb bin ich hier. Ich will in meiner Heimat gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Mir ist in Dachau unter anderem bewusst geworden, dass auch wir in unseren heutigen Gesellschaften Menschen ausgrenzen. Wir wollen nicht allen helfen. Dagegen möchte ich mich einsetzen. Es ist immer einfach zu sagen: ‚Es geht uns doch gut, wir müssen uns nicht anstrengen.‘ Für Mexiko sage ich: ‚Doch. Wir müssen eine bessere Gesellschaft werden.‘“
„Die Geschichten weitertragen“
Tommaso Paolucci, 18, Italien
„Ich bin zum zweiten Mal hier. Weil ich ganz genau wissen will, wie ich verhindern kann, dass so etwas wie der Holocaust jemals wieder passiert. Dieses Jahr beschäftige ich mich vor allem mit der Frage, wie wir die Erinnerungskultur fortführen können, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt. Für mich ist die Basis allen Erinnerns, dass man den Holocaust nicht als etwas Vergangenes ansieht. Wir sollten nicht davor weglaufen und denken, es reiche zu wissen, dass es ihn gab. Wir müssen uns wirklich bewusst machen, was passiert ist. Und die Geschichten der Überlebenden weitertragen. Dafür sind Veranstaltungen wie die Jugendbegegnung genau das Richtige. Wir diskutieren hier untereinander auch viel über die Politik in unseren Heimatländern. Es ist spannend zu hören, was die anderen über ihr eigenes Land erzählen. Sonst hat man immer nur die Sicht von außen. Ich finde, wir sollten ganz genau hinhören, was unsere Politiker heute sagen. Es wäre naiv zu glauben, dass es eine Rhetorik wie damals nicht mehr geben könnte. Dafür bin ich hier. Ich will sofort erkennen können, wenn sich irgendetwas in diese Richtung entwickelt. Und es dann verhindern.“