Forscherin mit Weitblick
Die amerikanische Wissenschaftlerin Erin Schuman leistet herausragende Arbeit am Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung.
Wenn wir Vokabeln lernen oder uns an den letzten Urlaub erinnern, sind daran in unserem Gehirn Proteine beteiligt, die an den Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen gebildet werden. Das hat die Hirnforscherin Erin Schuman herausgefunden und damit das Verständnis revolutioniert, wie Neuronen funktionieren. Dafür hat sie am 20. September 2024 in Hamburg den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft erhalten.
Chancengerechtigkeit für Frauen in der Forschung
Erin Schuman kam mit ihrem französischen Ehemann Gilles Laurent, ebenfalls ein sehr angesehener Hirnforscher, drei Töchtern im Schulalter und Haustieren im Jahr 2009 aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland. Die beiden Spitzenforscher bauten zwei neue Abteilungen am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main auf.
Erin Schuman verfolgte zusätzlich zu ihrer eigenen Forschung ein weiteres Ziel intensiv. Der Institutsneubau bekam Anschluss an eine Kita, einen Babywickelraum und ein Still-Zimmer, denn sie kannte aus eigener Erfahrung als Wissenschaftlerin und Mutter die Schwierigkeiten, die Frauen in der Forschung haben: Wer für die Familie zu lange pausiert, verliert Anschluss an die aktuelle Forschung. Die Entscheidung zwischen wissenschaftlicher Karriere und Familie aber wollte Schuman ihren künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unbedingt ersparen. Gleichzeitig kämpfte sie dafür, den Anteil von Frauen in wissenschaftlichen Leitungspositionen zu erhöhen.
„Das war damals für uns eine sehr herausfordernde Arbeit“, bilanziert Schuman heute. „Wir haben einen neuen Forschungsstandort aufgebaut, der inspirieren und voller Energie sein sollte, um Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt auszubilden und gleichzeitig neue Entdeckungen rund um das Gehirn zu machen.“ Auf diesem Weg ist die 1963 in Kalifornien geborene und vielfach mit Preisen ausgezeichnete Wissenschaftlerin angekommen. Sie genießt abseits ihrer wissenschaftlichen Arbeit „ein recht ruhiges Leben in Frankfurt. Wir haben hier in der Nachbarschaft und auf dem Tennisplatz neue Freundschaften geschlossen.“ Die berufsbedingte Trennung von Familie und Freunden über einen Ozean hinweg hatte sie auch als schmerzhaft empfunden. Als Kosmopolitin im internationalen Wissenschaftsbetrieb ist sie häufig unterwegs und schätzt am Standort ihres Instituts besonders, dass Frankfurt eine Drehscheibe zu vielen europäischen Städten ist.
Neben ihrer Forschung und dem Engagement für mehr Frauen in der Wissenschaft hat sie sich gemeinsam mit ihrem Mann und weiteren Kollegen auch intensiv dafür eingesetzt, die Geschichte ihres Instituts während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Im Foyer steht seit zwei Jahren ein von Künstlern mit kognitiven Beeinträchtigungen gestaltetes Mahnmal, das an die Opfer der NS-Zeit erinnert.
In Deutschland ist Erin Schuman aufgefallen, dass Wissenschaft und Innovation grundsätzlich sehr wertgeschätzt werden: „Man bekommt den Eindruck, dass die meisten Deutschen die große Bedeutung von Forschung erkennen und die materielle Unterstützung dafür als vorteilhaft für Menschheit und Gesellschaft empfinden.“ Zudem hebt sie die herausragenden Fähigkeiten und die persönliche Hingabe derjenigen hervor, die im Hintergrund durch ihre technische Arbeit in den Forschungsinstituten die Wissenschaftler auf einzigartige Weise unterstützen. In ihrer eigenen Arbeitsgruppe werde sie langfristig von einer sehr kenntnisreichen und begabten technischen Mannschaft begleitet. In anderen Ländern, auch in den Vereinigten Staaten, seien diese Mitarbeiter der Institute oft weniger gut ausgebildet. Die Forschungsstrukturen in Deutschland seien allerdings auch hierarchischer geprägt als in den USA. Das könne unter Umständen dazu führen, dass manche Forschende eher auf der gewohnten Stelle träten, statt gewagt in neue Dimensionen vorzustoßen.
Sie selbst habe sich schon als sehr junge Frau für alles Unbekannte interessiert, was auch ihre Motivation für die Arbeit in der Wissenschaft gewesen sei. Sie war die erste Akademikerin in ihrer Familie. Zunächst hatte sie Medizin und Psychologie studiert, bis sie merkte, dass ihre Faszination zwar dem Gehirn galt, sie aber in dessen Mikrodimensionen vordringen wollte. So gelang es ihr zu zeigen, dass die bereits erwähnten Proteine, die in der Nähe von Synapsen gebildet werden, eine sehr wichtige Rolle für Lernen und Gedächtnis spielen. Das hat auch praktische Auswirkungen für die Erforschung und Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer. Mit dem Geld des Körber-Preises will die Forscherin auch weiterhin krankheitsbedingte Veränderungen der Proteine in den Neuronen untersuchen und der Medizin neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen.