„Die Auszeichnung macht mir Mut“
Mut zum kritischen Denken – und Deutschlernen mit KI: Die chinesische Sprachwissenschaftlerin Li Yuan erhält die Goethe-Medaille.

„Ich bin jemand, der gerne Neues auf den Weg bringt“, sagt Li Yuan. Seit Jahren leistet die chinesische Professorin Pionierarbeit – in ihrer Forschung zum Fremdsprachenerwerb, bei der Verbesserung der Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts in China und bei der Nachwuchsförderung. Für „herausragende Leistungen im Bereich der interkulturellen Verständigung“ erhält die auf Sprachwissenschaft spezialisierte Germanistin jetzt die Goethe-Medaille. Am 28. August 2025 wird Li Yuan bei einem Festakt in Weimar die Medaille entgegennehmen, die jährlich vom Goethe-Institut für Verdienste um die Pflege der deutschen Sprache im Ausland und die Förderung des internationalen Kulturaustauschs verliehen wird.
Die Auszeichnung macht mir und meinen Kolleginnen und Kollegen Mut.
„Die Auszeichnung macht mir und meinen Kolleginnen und Kollegen Mut, denn sie zeigt, dass meine Arbeit im chinesisch-deutschen Kulturaustausch Anerkennung und Respekt findet“, sagt Li Yuan. „Ich hoffe, dass ich als Brückenbauerin und mit meinem Engagement für den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch eine gute Atmosphäre für die Entwicklung der chinesisch-deutschen Beziehungen und Zusammenarbeit schaffen kann.“
Deutsch lernen – mit Künstlicher Intelligenz
Derzeit forscht die Germanistikprofessorin der Zhejiang Universität (ZJU) in Hangzhou zur Frage, wie Künstliche Intelligenz beim Deutschlernen helfen kann: „Unser Ziel ist es, auf Grundlage empirischer Untersuchungen die Didaktik zu verbessern“, erklärt sie. Das Projekt basiert auf einer einzigartigen Sammlung von Texten chinesischer Deutschlernender verschiedener Alters- und Lernstufen, die Li Yuan und ihr Team zusammengetragen haben, um sie auf häufig wiederkehrende Fehler hin zu analysieren. Auf Basis der Ergebnisse entwickelte sie mit KI-Expertinnen und -Experten der ZJU ein intelligentes Feedback-Tool, das gerade von Deutschstudierenden getestet wird, während eine Vergleichsgruppe herkömmliches Feedback von Lehrenden erhält. „Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Projekt ist hochinteressant und horizonterweiternd“, sagt Li Yuan.
Ihr Lieblingslehrer hatte ihr nach dem Abitur geraten, statt Englisch lieber die „Nischensprache“ Deutsch zu studieren. „Je länger ich Deutsch lernte, desto stärker verliebte ich mich in Sprache und Kultur“, sagt Li Yuan. Nach ihrem Masterabschluss wurde sie an der ZJU Dozentin, bevor sie 2003 zur Promotion an die Technische Universität Berlin ging. 2008 kehrte sie als Postdoktorandin mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für weitere eineinhalb Jahre nach Berlin zurück. „Laut Wilhelm von Humboldt findet die Arbeit an der Universität in Einsamkeit und Freiheit statt“, sagt die Wissenschaftlerin. „Selbständig zu forschen und eigene Wege zum Ziel zu finden, war für mich erst eine große Herausforderung, denn im Studium hatte ich das nicht gelernt. Aber ich habe mich in Berlin nie allein gefühlt, weil ich so gut von meinem Doktorvater und anderen Forschenden unterstützt wurde.“ Besonders gefiel ihr das wöchentliche Kolloquium: „Ich konnte dort nicht nur über meine Forschungsthemen sprechen und von den Fortschritten anderer erfahren, sondern aktiv, auch kritisch, Fragen stellen. Von dieser Diskussionskultur profitiere ich bis heute.“
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Einverständniserklärung öffnen2011 übernahm Li Yuan ihre Professur an der ZJU. Dort führte sie einen verpflichtenden Einführungskurs in wissenschaftliches Arbeiten und Forschungsmethoden ein, damals eine Neuheit an chinesischen Hochschulen. Heute absolvieren alle Germanistikstudierenden in China einen solchen Kurs. „Die Fähigkeit, Probleme selbstständig anzugehen und zu lösen, ist in jedem Beruf wichtig“, sagt Li Yuan, die heute die Fakultät für Asiatische und Europäische Sprachen, das Institut für Deutschlandstudien sowie das Zentrum für Global Competence der ZJU leitet. Darüber hinaus steht sie an der Spitze eines Teams, das Deutsch-Lehrwerke für ganz China entwickelt. Mit ihrer Arbeit hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass der Fokus des Deutschunterrichts an chinesischen Hochschulen und Schulen nicht mehr nur auf dem Fachwissen liegt, sondern auch auf dem Erwerb von Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz. Dazu gehöre auch, den Lernenden Offenheit und die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit Stereotypen zu vermitteln, sagt Li Yuan.

Heute ist Deutsch in China ein reguläres Schulfach, das landesweit an rund 200 Schulen angeboten wird. Um das Interesse am Deutschlernen zu stärken, hat Li Yuan in den vergangenen Jahren drei Wettbewerbe für Schülerinnen und Schüler sowie für Studierende ins Leben gerufen, unter anderem zu Themen der nachhaltigen Entwicklung und der Global Governance: „Wir möchten nicht nur das Interesse am Sprachenlernen fördern, sondern auch erreichen, dass junge Menschen sich mit globalen Fragestellungen beschäftigen.“ Bis heute hält Li Yuan engen Kontakt zu Deutschland, beispielsweise in einem gemeinsamen Kolloquium mit der TU Berlin. „Der ständige Perspektivenwechsel zwischen zwei Kulturen öffnet einen übergeordneten Raum, in dem inter- und transkulturelles Lernen möglich wird“, sagt sie.