„In der Tiefsee existiert eine völlig unbekannte Welt“
Forschung in der Tiefe: Angelika Brandt untersucht Organismen auf dem Meeresboden – und wurde dafür mit einem bedeutenden japanischen Preis ausgezeichnet.

Es sind die Lebewesen tief unten auf dem Meeresboden, die Angelika Brandt faszinieren. Zahlreiche Expeditionen hat die Tiefseeforscherin, die hauptsächlich mit Krebsen wie Meeresasseln arbeitet, bereits unternommen, um mehr über sie herauszufinden. Expeditionen, bei denen sie mehrere Wochen oder sogar Monate mit internationalen Teams auf Forschungsschiffen unterwegs ist. Mit speziellen Geräten werden die Tiere dabei aus dem Meer geholt, von Schlamm befreit und untersucht. 119 neue Arten, 22 neue Gattungen und drei neue Familien sowie drei Unterordnungen hat Angelika Brandt schon beschrieben. Und 22 Arten tragen sogar ihren Namen, denn internationale Forschende haben sie nach ihr benannt – eine Ehre, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern meist erst posthum zuteil wird. Die 1961 im westfälischen Minden geborene Angelika Brandt lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und leitet die Abteilung Marine Zoologie der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Die Würdigungen sieht sie als Anerkennung ihrer Arbeit und der Erkenntnisse über das Leben und die Organismen in den von ihr erforschten Tiefsee-Gebieten.
Die Auszeichnung war ein ganz besonderer Moment in meinem Leben.
Eine besondere Anerkennung war für sie ein renommierter Preis: 2024 wurde Angelika Brandt als erste deutsche Wissenschaftlerin mit dem International Prize for Biology der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) ausgezeichnet. „Es war ein ganz besonderer Moment in meinem Leben“, sagt sie über den Augenblick, als sie erfuhr, dass sie für die Auszeichnung ausgewählt worden war. Im Dezember 2024 reiste Brandt nach Japan, um den Preis für ihr Lebenswerk entgegenzunehmen. Kronprinz und Kronprinzessin Akishino nahmen an der Verleihung teil.
Arbeit in internationalen Teams
Bei ihren Expeditionen hat Brandt immer auch mit japanischen Forschenden zusammengearbeitet. „2023 wurde ich auf das Forschungsschiff Hakuho Maru zu einer Expedition zum Japangraben und zum Kurilen-Kamtschatka-Graben eingeladen. Daraus entstehen gerade hervorragende Daten“, erzählt sie. Im Kurilen-Kamtschatka-Graben nahmen die Forschenden Proben in bis zu 9.600 Metern Tiefe. „In der Tiefsee kommen die Geräte und die Winde auf dem Forschungsschiff an ihre technischen Grenzen“, sagt Brandt. Die Winde könne das Tiefseekabel, an dem die Sammelgeräte nach unten gelassen werden, zunächst nur langsam wieder nach oben holen. Auch starker Seegang könne die Arbeit erschweren.
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Einverständniserklärung öffnenIm Südpolarmeer stieß Angelika Brandt auf andere Schwierigkeiten: „Wo Eis ist, kann man keine Proben nehmen“, sagt sie. Hier fand sie allerdings eine extrem hohe Biodiversität in der Tiefsee. „Diese Daten waren selbst für uns Wissenschaftler sehr erstaunlich und bahnbrechend.“ Die Meeresbiologin erklärt die Dimensionen: „Unsere Erde hat eine Oberfläche von 512 Millionen Quadratkilometern, davon sind 352 Millionen Quadratkilometer Tiefsee. Die Proben, die wir bislang genommen haben, decken nicht einmal ein Millionstel ab. In der Tiefsee existiert eine völlig unbekannte Welt, von der wir so gut wie nichts wissen.“ Brandt ist es gelungen, etwas Licht in dieses Dunkel zu bringen.

Warum und wie leben die Tiere dort? Wie sind sie geografisch verbreitet? Welche Umweltfaktoren steuern das Vorkommen von Arten? Das sind Forschungsfragen, mit denen sie sich beschäftigt. Diese Informationen seien wichtig vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Eingriffe des Menschen in die Umwelt. „Wir Menschen verändern diesen Planeten extrem“, sagt Brandt. „Der Klimawandel, die Stürme, der Anstieg des Meeresspiegels und der -Temperatur, das Abschmelzen der Gletscher: Das hat alles etwas mit unseren Ozeanen zu tun. und wir wissen überhaupt nicht, was in ihnen eigentlich lebt und welche Funktionen diese Arten im Ökosystem haben.“
Faszination für das Meer
Dass sie einmal Wissenschaftlerin werden würde, hatte Brandt zunächst nicht geplant. Eigentlich wollte sie Lehrerin werden, studierte Pädagogik und Biologie. An der Universität beschäftigte sie sich in einer Arbeitsgruppe jedoch mit Meeresasseln; sie lernte Tauchen und machte eine Ausbildung zur Forschungstaucherin. „Auf einmal ging da ein Fenster in eine Welt auf, die mich schon immer fasziniert hat“, sagt Brandt, die schon als Kind begeistert Unterwasserfilme im Fernsehen schaute.
Ihre Neugier für die Naturwissenschaften wurde immer stärker. Während der Doktorarbeit machte sie mehrere Expeditionen, darunter eine Tauchexpedition in der Antarktis. „Damals war das eine Männerdomäne“, erzählt Brandt. „Es gab keine passenden Trockentauchanzüge für zierliche Frauen und die Firma, die uns maßgeschneiderte Anzüge herstellen sollte, sagte drei Wochen vor der Expedition ab.“ Brandt kaufte sich in einem Laden den kleinsten Herrenanzug, doch auch der sei ihr zu groß gewesen. „Ich musste die Füße unten ausstopfen.“ Trotz dieser Herausforderungen ließ Brandt die Faszination für das Meer und die Lebewesen darin nicht los. Heute ist sie beides: Lehrerin an einer Universität und Tiefseeforscherin.