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Aus Kenia zur Pflegeausbildung nach Deutschland

Fachwissen, Sprache und interkulturelles Wissen: Ein deutsch-kenianisches Gemeinschaftsprojekt unterstützt Pflegekräfte umfassend bei der Ausbildung.

AutorinMiriam Hoffmeyer, 08.05.2024
Traumberuf Krankenpflege: Richard Gekonge und Aisha Mussa mit ihrer Klassenlehrerin Denise Naser
Traumberuf Krankenpflege: Richard Gekonge und Aisha Mussa mit ihrer Klassenlehrerin Denise Naser © Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim

Seit ihrem Praktikum in einem Krankenhaus in Nairobi vor zwei Jahren wollte Aisha Mussa Krankenpflegerin werden. In ihrer Heimat seien die Chancen schlecht, diesen Traum zu verwirklichen, meint sie: „Es ist in Kenia sehr teuer, eine Berufsausbildung zu machen. Das größte Problem ist aber, dass es nur sehr wenige Stellen an den Krankenhäusern gibt.“ Jetzt lernt die 22-Jährige ihren Traumjob in Deutschland. Sie hat gerade Mittagspause, gleich geht der Unterricht weiter. 

Es ist ein Vorteil, dass wir als Gruppe gekommen sind: Wir kochen zusammen, lernen zusammen und helfen einander – so haben wir nicht so viel Heimweh.
Pflege-Auszubildende Aisha Mussa

Im April 2024 konnte Aisa Mussa gemeinsam mit drei anderen Frauen und zwei Männern aus Kenia eine dreijährige Pflegeausbildung am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim beginnen. Nach der ersten Überraschung über das Regenwetter im April hat Aisha Mussa nun den ersten Sonnenspaziergang durch die historische Kurstadt in Baden-Württemberg gemacht. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt sie. „Es ist ein Vorteil, dass wir als Gruppe gekommen sind: Wir kochen zusammen, lernen zusammen und helfen einander – so haben wir nicht so viel Heimweh.“

Bestmögliche Bedingungen für internationale Fachkräfte

Die Auszubildenden nehmen an einem gemeinsamen Projekt der Hochschule Koblenz mit der Mount Kenya University (MKU) in Nairobi teil. Im Jahr 2030 werden Prognosen zufolge bis zu 500.000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Um den Mangel nachhaltig zu verringern, sei es unverzichtbar, Nachwuchs aus dem Ausland nicht nur anzuwerben, sondern auch langfristig in Deutschland zu halten, sagt Christian Lebrenz, Professor für Human Ressource Management an der Hochschule Koblenz. In dem Projekt untersucht er, wie dafür die bestmöglichen Bedingungen geschaffen werden können. 

Aisha Mussa und Richard Gekonge im Unterricht in Deutschland
Aisha Mussa und Richard Gekonge im Unterricht in Deutschland © Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim

Es sei sehr spannend, den gesamten Prozess von der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber bis zur Integration am deutschen Wohnort wissenschaftlich zu begleiten, sagt Lebrenz. „Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass mehr angehende Pflegefachkräfte nach Deutschland kommen, ist ein strukturiertes, sicheres und faires Verfahren. Wenn sich jeder einzeln durch den Dschungel der Bürokratie schlagen muss, wird man die nötigen Zahlen nicht erreichen.“ Die Idee zu dem Projekt, das bislang keine externe Förderung erhält, hatte Lebrenz‘ ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin Caroline Mwangi. Sie ist Mitgründerin der Plattform „AG-Career Hub“, die afrikanische Studierende und Fachkräfte dabei unterstützt, in Deutschland Fuß zu fassen.

Medizinische Fachinhalte und interkulturelles Wissen

Schon etwa anderthalb Jahre vor ihrer Ankunft in Deutschland haben die heutigen Auszubildenden mit der Vorbereitung begonnen: Sie absolvierten zunächst einen selbst finanzierten Deutschkurs bis zur erfolgreichen B2-Prüfung und dann einen Kurs  an der MKU, in dem nicht nur medizinische Fachterminologie und Kenntnisse in Anatomie vermittelt wurden, sondern auch Wissen über das Leben in Deutschland

Wir beschäftigen uns seit Jahren mit dem Thema Fachkräftegewinnung aus dem Ausland, daher war uns klar, wie wichtig neben guten Sprachkenntnissen interkulturelles Wissen ist.
Norbert Stolzenberger, Leiter des Bildungszentrums am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim

In die Entwicklung des Curriculums war das Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim von Anfang an mit eingebunden. „Wir beschäftigen uns seit Jahren mit dem Thema Fachkräftegewinnung aus dem Ausland, daher war uns klar, wie wichtig neben guten Sprachkenntnissen interkulturelles Wissen ist“, sagt Norbert Stolzenberger, Leiter des Bildungszentrums am Krankenhaus.

In Bad Mergentheim werden den Auszubildenden auch anatomische Kenntnisse vermittelt.
In Bad Mergentheim werden den Auszubildenden auch anatomische Kenntnisse vermittelt. © Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim

So müsse zum Beispiel rechtzeitig vermittelt werden, dass zu den Aufgaben professioneller Krankenpflegekräfte in Deutschland auch die körperliche Pflege der Patientinnen und Patienten gehört, um die sich in Kenia und vielen anderen Ländern die Angehörigen kümmern, erklärt Stolzenberger. Um den Auszubildenden das Einleben in Bad Mergentheim zu erleichtern, stellt ihnen das Krankenhaus ältere Auszubildende als „Buddys“ an die Seite. Initiatorin Caroline Mwangi wiederum vermittelt ihnen Kontakt zur kenianischen Community in Deutschland. 

Duale Ausbildung in Deutschland eröffnet Chancen

Während in manchen Ländern, aus denen Pflegekräfte nach Deutschland kommen, ebenfalls Fachkräftemangel herrscht, ist die Jugendarbeitslosigkeit in Kenia sehr hoch. Die Bundesregierung plant derzeit den Abschluss eines Fachkräfteabkommens mit dem ostafrikanischen Land, in dem das Durchschnittsalter bei unter 20 Jahren liegt. Das kenianische Schulsystem hat einen guten Ruf, etwa 85 Prozent jedes Jahrgangs schließen die zwölfte Klasse ab. „Zugleich können es sich nur sehr wenige leisten, danach zu studieren oder eine mehrjährige Berufsausbildung zu machen, weil beides Gebühren kostet“, sagt Christian Lebrenz. „Eine duale Ausbildung in Deutschland eröffnet diesen jungen Leuten Chancen.“ 

Derzeit befindet sich der zweite Jahrgang des Projekts zur Vorbereitung im sogenannten Propädeutikum und wird im August 2024 nach Bad Mergentheim kommen – wenn alles wie geplant verläuft. Trotz der Unterstützung mit Rat und Tat durch die deutsche Botschaft in Nairobi seien die bürokratischen Hürden höher als erwartet, berichten Lebrenz und Stolzenberger. So habe beispielsweise die Anerkennung der Dokumente der Teilnehmenden lange gedauert, erinnert sich der 21-jährige Auszubildende Richard Gekonge: „Aber jetzt sind wir hier, das ist die Hauptsache! Mein größter Wunsch ist, dass ich meine Ausbildung gut mache und dann in Deutschland arbeiten kann.“