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Auf den Spuren der Hexe - in fünf Tagen durch den Harz

Auf der 94 Kilometer langen Wanderung erfährt man einiges, über Folklore, über Geschichte und über den Nationalpark.

12.09.2019
Wald in Deutschland: der Harz
© dpa

Am vorletzten Tag auf dem Harzer Hexenstieg, einem Fernwanderweg mit fünf Tagesetappen, empfängt mein Hirn immer wieder dieselben Signale: die Füße tun weh, die Füße tun immer noch weh. Das Einzige, was mich vorwärts treibt, ist die Tatsache, ich - dank der Harz-App des Tourismusverbands - weiß, die mit 30 Kilometern längste Etappe ist bald geschafft. Bald werde ich mit einem herzhaften Essen und kaltem Bier belohnt, und mit einem Hotelbett.

Der Harzer-Hexenstieg führt über 94 Kilometer von Osterode nach Thale über den Brocken, den mit 1142 Metern höchsten Berg Norddeutschlands. Nach meiner Ankunft im Bahnhof von Osterode durchquere ich am ersten Tag die malerische Altstadt bis zum markierten Startpunkt des Wanderweges.

Aufmerksam gemacht, auf den Harz und den Brocken, hat mich die Lektüre der Werke von Johann Wolfgang Goethe und Heinrich Heine. Noch mehr als die Legenden von Hexen, die sich mit dem Teufel zusammentun, reizt mich die Aussicht, einige Tage draußen in der Natur, an der frischen Luft zu sein.

Wann ist der Wald ein Wald

Die erste Etappe von Osterode nach Buntenbock ist eine eher leicht Übung, ein Aufwärmen für die anspruchsvolleren Etappen. Ein harmloser Ausflug bei sommerlichen Temperaturen, auf dem meine wetterfesten Wanderschuhe ein wenig überdimensioniert wirken.

Am zweiten Tag meiner Wanderung fallen mir die zahlreichen, ordentlich gestapelten Baumstämme am Wegesrand auf. Und riesige baumlose Brachflächen. Es fühlt sich an, als wäre ich auf einem Schlachtfeld gelandet.

2017 hatten heftige Stürme große Verwüstungen angerichtet, Erdrutsche verursacht und Waldflächen zerstört. Und dann ist da noch der Borkenkäfer, der so viel Unheil angerichtet, dass die Parkbehörden befürchten, dass sich die Besucher an den Anblick toter Bäume gewöhnen müssen.

Der Wald hat es im Harz nie leicht gehabt. Über 3000 Jahre hat der Bergbau mit seinem Bedarf an Holz seinen Tribut gefordert. Obwohl der Harz in den letzten Jahrhunderten großflächig mit schnell wachsenden Fichten aufgeforstet wurde, sind die vom Menschen verursachten Auswirkungen auf die Natur unübersehbar.

Deshalb soll der Nationalpark Harz sich von einem ehemaligen Wirtschaftswald zu einem wilden Naturwald entwickeln. Rund 40 Prozent des Parks entfallen auf so genannte Naturentwicklungszonen, Flächen, in denen die Parkbehörden daran arbeiten, beschädigte Gebiete wieder zu sanieren. Die anderen 60 Prozent bleiben sich selbst überlassen. Das Motto des Parks "Natur Natur sein lassen" setzt sich zum Ziel, bis 2022 drei Viertel des Nationalparks wieder zu einem sich natürlich entwickelnden Wald umzuwandeln.

Der Brocken und die Freiheit

Am dritten Tag, kurz vor Torfhaus, dem westlichen Tor zum Nationalpark Harz, wo die Wälder dichter werden und die Stille eindringlicher, bemerke ich eine Markierung mit der Aufschrift "4 km bis zur DDR". Obwohl die DDR seit der Wiedervereinigung 1990 Geschichte ist und damit alle Hindernisse für den Aufstieg auf den Brocken beseitigt sind.

Bis zur Wiedervereinigung war der Brocken jahrzehntelang militärisches Sperrgebiet. 1985 errichtete die DDR eine Mauer auf dem Gipfel des Berges. Sie sollte zwei Funktürme schützen, die aussahen, als wären sie aus dem Set eines B-Movies der 1950er Jahre übrig geblieben. Die Türme dienten als Abhörstationen, die unter den Decknamen "Jenissej" und "Urian" angeblich über Hunderte von Kilometern Gespräche in der Bundesrepublik aufzeichnen konnten.

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, aber der Brocken blieb geschlossen. Am 3. Dezember versammelten sich über tausend Demonstranten in Ilsenburg unter dem Motto "Freie Bürger! Freier Brocken!" Sie wollten auf ihren Berg wandern. Das Militär gab schließlich nach und ließ die Menge passieren. Die Einheimischen eroberten sich an diesem Tag den Berg zurück. Und bald folgte der Tourismus, mit Hotel, Restaurant und der Brockenbahn.

"Entschuldigung", frage ich eine Spaziergängerin, die mir auf meinem Weg zum Brocken entgegen kommt. "Ist es da oben neblig?" Sie blickt zurück und antwortet: "In zehn Minuten wird die Sicht besser." Das Wetter kann sich im Handumdrehen ändern, besonders am Brocken. Nur eine Handvoll Besucher ist am frühen Morgen mit mir auf dem Berg, als eine Decke aus hellgrauen Wolken sich langsam zur Seite schiebt.

Wo die Hexen tanzen

Den Brocken und einige Waldpassagen schon hinter mir, glaubte ich, das wichtigste auf dem Harzer Hexenstieg gesehen zu haben. Aber die letzte Etappe von Altenbrak nach Thale eröffnet noch mal ganz eigene Blicke. Über zehn Kilometer folgt man dem Bodefluss durch das gleichnamige Tal. Der Weg ist gesäumt von Baumgruppen und weit aufragenden Felsbrocken. Das Wandern entlang eines stetig fließenden Gewässers hat etwas Meditatives.

Kurz vor dem Ziel mache ich sogar noch einen Umweg zum Hexentanzplatz, der angeblich Schauplatz heidnischer Rituale gewesen ist. Der Abstecher macht durchaus Sinn, wenn man auf dem Hexenstieg unterwegs ist. Außerdem hat sich mein Körper an die Herausforderungen der Wanderung gewöhnt und traut sich noch eine Extrarunde zu.

Es geht über 1,5 Kilometer stetig aufwärts. Oben angekommen passiere ich den 480 Meter hohen Aussichtspunkt "La Viershöhe", dann bin ich am Hexentanzplatz. Mit der Sommersonne hat es etliche Ausflügler hierher gezogen. Es herrscht eine Volksfeststimmung mit Ständen, die Burger und Bratwürste servieren, und Läden, die Hexen-Souvenirs anbieten. Mit meinem suchenden Blick muss ich einen etwas ratlosen Eindruck gemacht haben, denn ein älterer Mann ruft mir ein "Hier entlang!" zu und zeigt mir den Weg zurück.

Das letzte Stück führt wieder durch den Wald, bis zum Bahnhof in Thale. Auch dort sehe ich ein Schild mit der weißen Silhouette einer Hexe, die auf einem Besenstiel reitet. Genau wie die, die mich auf der gesamten Strecke begleitet haben. Deutschland hat eines der am besten ausgeschilderten Wanderwegenetze weltweit.