„Mit meinem Akzent kam ich wohl irgendwie cool rüber“
Joanna Ratajczak kommt aus Polen, lebt in Berlin – und ist ein Multitalent. Hier erzählt sie von ihrer Liebe zum Jazz und ihrem Dokumentarfilm-Debüt „Trust Me“.

Joanna Ratajczak, Ihr preisgekröntes Filmdebüt, der Dokumentarfilm „Trust Me“, lief gerade auf dem deutsch-französischen Fernsehsender Arte. Worum geht es?
Der Film erzählt von einem polnisch-deutschen Ehepaar, das sich entscheidet, seine Beziehung zu öffnen. Im Zentrum steht dabei die weibliche Perspektive, die mit der Angst vor Verlust verbunden ist – es ist aber auch eine Emanzipationsgeschichte. Ich habe das Paar sechs Jahre lang begleitet.
Der Film lebt von der Interaktion der Protagonisten. Als Zuschauer hat man das Gefühl, direkt dabei zu sein.
Das ist die polnische Filmschule. Ich habe in Warschau bei Marcel Loziński studiert, einem der bekanntesten polnischen Dokumentarfilmer, der leider kürzlich gestorben ist. In den meisten osteuropäischen Ländern hat es Tradition, die Bilder sprechen zu lassen, denn früher konnte man nicht alles aussprechen, was man mitteilen wollte. Die Zuschauer haben es auch ohne Kommentare verstanden.
Sie sind 2002 nach Berlin gekommen, haben zunächst beim Radio gearbeitet und später Filme gemacht. Was hat Sie damals nach Berlin geführt?
Ich hatte Ende 2002 gerade mein Journalistik- und Politikstudium in Posen abgeschlossen und wollte eigentlich nur Silvester in Berlin feiern. Die Stadt gefiel mir dann so gut, dass ich beschloss, zu bleiben, obwohl ich kein Wort Deutsch gesprochen habe. Hier konnte ich mich ausprobieren. Mit der Zeit lernte ich die Sprache und begann ein Praktikum bei meinem Lieblingssender JazzRadio Berlin. Meine ersten Moderationen habe ich allerdings noch auswendig gelernt.
Aus dem Praktikum wurde ein fester Job und Sie bekamen bei JazzRadio Berlin schnell eine eigene Sendung. Was hat Sie von anderen Moderatorinnen unterschieden?
Vielleicht war es meine Stimme – mit meinem Akzent kam ich wohl irgendwie cool rüber. Moderatoren, die nicht Deutsch-Muttersprachler waren, gab es damals praktisch nicht. Ich hatte also etwas Besonderes. Außerdem hatten wir tolle Gäste. Berlin zog Musiker aus aller Welt an, aus New York, Brasilien, es herrschte Aufbruchstimmung. Das hat sich auch in meiner Sendung widergespiegelt. Für mich war das eine unglaublich inspirierende Lebensphase. Ich habe in der Zeit auch als DJane aufgelegt.

Hatten Sie schon vorher einen Bezug zum Jazz oder haben Sie diese Musikrichtung erst in Berlin für sich entdeckt?
Mein Vater hat schon immer viel Jazz gehört, ich bin also damit aufgewachsen. Während meines Studiums habe ich eine Jazz-Band gemanagt. Diese Musik hat in Polen seit langem einen festen Platz in der Kulturszene. In der Zeit der Diktatur, in den 1960er- und 70er-Jahren, stand Jazz in Polen für Freiheit und Unabhängigkeit. Es war die Musik der Intellektuellen. Auch international ist „Polish Jazz“ bis heute eine feste Größe.
Gibt es auch eine polnische Jazz- und Kultur-Szene in Berlin?
Es gibt einige polnische Jazz-Musiker, die in Berlin leben und auftreten. Dazu gehört Natalia Matteo, eine tolle Künstlerin, die den traditionellen, melancholischen polnischen Jazz mit neuen Stilrichtungen verbindet. Sie hat die Musik zu meinem Film gemacht. Was die polnische Kulturszene insgesamt angeht, sind am ehesten noch die Künstler als Gruppe erkennbar, die schon vor der Wende als Exilanten nach Westberlin kamen. Die jüngeren Künstlerinnen und Künstler gehen dagegen in der internationalen Berliner Kulturszene auf.
Sie haben später erste Fernsehbeiträge für den RBB, die regionale Sendeanstalt der ARD für Berlin und Brandenburg, produziert und bewarben sich schließlich mit Erfolg an der Wajda Film-School in Warschau. Wie war es, nach Polen zurückzukehren?
Mein Traum war es immer, Filme zu machen und dabei meine polnischen Wurzeln nicht zu verlieren. Mir wurde bewusst, dass ich noch eine sehr starke Verbindung zu Polen, zu den Menschen habe und dass ich durch den Weggang auch etwas verloren hatte. Dennoch: Mein Zuhause ist seit langem Berlin. Das wird auch so bleiben. Aber ich bin gern und oft in Polen, es ist ja nicht weit entfernt.
Arbeiten Sie an neuen Projekten?
Am weitesten fortgeschritten ist ein Film über das Schicksal deutscher Kinder, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf polnischem Gebiet in zwei Heimen lebten. Nachdem eines der Heime von der Roten Armee überfallen worden war, beschlossen die evangelischen Schwestern, die das zweite Heim leiteten, mit ihren Kindern zu fliehen. Im Film geht es um diese dramatische Reise im Zug. Ich arbeite hier teilweise mit Animationen. Nur wenige der Kinder haben überlebt, einige konnte ich noch treffen. Ihre Geschichten haben mich sehr berührt. Viele meiner Projekte sind deutsch-polnisch geprägt. Gerade dieser persönliche Bezug zu den Themen fasziniert mich nach wie vor am meisten.
Joanna Ratajczak ist Moderatorin, Journalistin, Filmemacherin und DJane. Sie stammt aus Posen in Polen und lebt in Berlin. Ihre Radiosendung JazzRio! wurde mit der Bronzemedaille bei den New York International Radio Programming Awards ausgezeichnet. Auf dem Koszaliner Festival der Filmdebüts in Polen hat ihr Filmdebüt Trust Me gleich zwei Preise gewonnen.