Kraftwerk: Autobahn ins Unendliche
Aktuell auf Tour, prägt die deutsche Band Kraftwerk mit ihrer elektronischen Musik seit 55 Jahren die globale Popmoderne – und wird vor allem in den USA gefeiert.
Als im März 2025 in der Franklin Music Hall in Philadelphia die Lichter erlöschen, herrscht eine eigentümliche Stille – bis die Maschine erwacht. Eine Roboterstimme begrüßt das Publikum und zählt den Countdown herunter, ein synthetischer Beat setzt ein, vier Männer in Neon-Anzügen betreten gemächlich die Bühne, über die Leinwand flackern Zahlen, die hypnotische Show von Kraftwerk beginnt. Es ist ein Moment, in dem sich die jahrzehntelange Reise der deutschen Band verdichtet: Was 1970 in einem Düsseldorfer Hinterhof beginnt, fasziniert bis heute Millionen Fans rund um den Erdball – und füllt auf der aktuellen Welt-Tournee große Hallen.
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Einverständniserklärung öffnenVom Kling-Klang zur Weltformel der elektronischen Musik
Ralf Hütter und Florian Schneider, Gründer und Master-Minds von Kraftwerk, entwickeln eine neuartige Klangästhetik. In ihrem Soundlabor „Kling-Klang-Studio“ tüfteln sie an eigenen Geräte-Netzwerken und Rhythmusmaschinen. Der „Vocoder“ zerlegt Sprache in Frequenzmuster und setzt sie neu zusammen; ohne ihn sind Kraftwerks charakteristische Roboterstimmen nicht denkbar.
Schneider sagt einmal: „Kraftwerk ist keine Band, es ist ein Konzept, eine Mensch-Maschine“ – ein Selbstverständnis, das die Musik, die minimalistische Bühnenpräsenz und auch die Songtexte bestimmt. Kraftwerks Texte wirken sachlich, reduziert, fast protokollarisch. „Das Model“ (1978) etwa hat den Tonfall eines distanzierten Beobachters: „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“ beschreibt weniger eine Person als einen Mechanismus der Wahrnehmung und legt die Funktionsweise des Medienbetriebs offen.
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Einverständniserklärung öffnen„Die Roboter“ (1978) kehrt das Verhältnis von Mensch und Maschine um; die Zeile „Wir funktionieren automatisch“ spielt mit der Frage, wer wen steuert. Das wird auch bei den Auftritten sichtbar: Die vier Musiker stehen nahezu reglos hinter identischen Pulten, während Avatare und Animationen für Showeffekte sorgen. „Computerwelt“ (1981) illustriert eine Zukunft, die längst Gegenwart geworden ist: Datenströme, Überwachung, vernetzte Systeme.
USA: Deutsche Maschinen im Mutterland des Pop
Mit „Autobahn“ (1974) gelingt der internationale Durchbruch. Der 22-minütige Titelsong wird in den USA völlig überraschend zum Hit. Viele amerikanische Hörer verstehen den deutschen Refrain-Teil „Fahr′n, fahr′n, fahr′n“ anfangs als „Fun, fun, fun“ – eine unfreiwillige Verbindung zwischen deutscher Kühle und US-Poptradition; quasi ein futuristisches Echo der Beach Boys. Es folgen Werke wie „Trans Europa Express“, „Die Mensch-Maschine“ und „Computerwelt“, die als Wegbereiter des Elektropop gelten. Hütter formuliert die Haltung der Band einmal so: „Uns interessiert nicht der Akkordwechsel, sondern der Klang selbst – der Raum, in dem er sich bewegt.“
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Einverständniserklärung öffnenDass Kraftwerk ausgerechnet in den USA, dem Mutterland des Pop, mit seiner konstruierten, meist deutschsprachigen Musik so gefeiert wird, gehört zu den erstaunlichsten Dynamiken der Popgeschichte. Hip-Hop-DJ Afrika Bambaataa formt 1982 aus „Trans-Europe Express“ und „Numbers“ den Klassiker „Planet Rock“ – ein Stück, das Electro und Techno weltweit prägt. In Detroit beeinflusst Kraftwerk später die Techno-Pioniere Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson. Atkins spricht vom „idealen Klang einer futuristischen Stadt“. Viele große Namen der US-Musikszene nennen die Düsseldorfer als Inspirationsquelle: Von Dr. Dre über Pharell Williams, Trent Reznor (Nine Inch Nails) und LCD Soundsystem bis hin zu Timbaland und Kanye West. Das gilt auch für zahlreiche europäische Künstler: David Bowie widmet Kraftwerk „V-2 Schneider“, Daft Punk nennen sie „Vorfahren“, New Order bezeichnen sie als Pioniere einer neuen musikalischen Sprache.
Die Maschine läuft weiter
Die „50 Years of Autobahn – Multimedia Tour“ führt Kraftwerk im Frühjahr 2025 mit rund 30 Shows durch die USA und Kanada. Skateboard-Legende und Kraftwerk-Fan Tony Hawk kündigt die Tour in einem Video an. Die amerikanische Presse ist begeistert: Der Philadelphia Inquirer schreibt von einem „neonbeleuchteten kinetischen Erlebnis“, Post-Punk beschreibt das Brooklyn-Konzert als „unglaublich immersiv“.
Mitgründer Florian Schneider erlebt diesen erneuten Erfolg nicht; er stirbt 2020 im Alter von 73 Jahren. Im November 2025 wird sein Nachlass in Nashville versteigert – darunter Vintage-Synthesizer, ein Rennrad aus „Tour de France“ und ein ikonischer Sennheiser-Vocoder für 256.000 Dollar. Schneiders Geräte gelten als historische Zeugnisse jener Pionierarbeit, auf der elektronische Musik aufbaut. Doch Kraftwerk bleibt aktiv: Nach der US-Tour folgen 2025 zahlreiche Auftritte in Europa, für 2026 sind Termine in Asien und wiederum Europa angekündigt. Die Maschine läuft weiter – teils mit neuer Besetzung, aber mit derselben präzisen Eleganz, die diese Band seit 55 Jahren auszeichnet.