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Aus der Geschichte lernen

Weltweit bemühen sich Expertinnen und Experten um den Schutz kulturellen Erbes. Auf Einladung Deutschlands hatten sie Gelegenheit zur Vernetzung.

Klaus LüberKlaus Lüber, 27.06.2023
Teilnehmende der Besucherreise in Berlin
Teilnehmende der Besucherreise in Berlin © Ayla Öztürk-Banha

Die neue Synagoge in Breslau war einst die zweitgrößte im deutschsprachigen Raum, bis sie, wie viele andere, in der Reichspogromnacht des nationalsozialistischen Regimes am 9. November 1938 zerstört wurde. Die polnische Kunsthistorikerin Karolina Maria Jara hat dabei geholfen, sie wieder aufzubauen. Allerdings nicht Stein für Stein, sondern Pixel für Pixel in einer digitalen Rekonstruktion und Dokumentation des Bauwerks, die von der Universität Mainz koordiniert wurde. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus ihrem Fach sowie 3D-Spezialisten entstand die App „kARtka z Synagogą“, die in Kombination mit einer hierfür entwickelten Postkarte das Objekt als Computermodell zum Leben erweckt. Im Bild sind weiterführende Informationen zum gesellschaftlich-kulturellen sowie religiösen Kontext des Bauwerks abrufbar. „Wir wollten auf diese Weise das kulturelle Erbe des Bauwerks wieder zum Leben erwecken“, so Jara.

Damit ist die Kunsthistorikerin nicht allein. Auf der ganzen Welt bemühen sich Expertinnen und Experten, die in Gegenständen, Objekten und Bauwerken eingeschriebene Kulturgeschichte zu schützen und zugänglich zu machen. Im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland hatte eine kleine Gruppe Anfang Juni 2023 die Gelegenheit, sich untereinander zu vernetzen und mit deutschen Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen. Unter dem Titel „Preserving and protecting cultural property in Germany and around the world“ besuchten die Teilnehmenden aus 13 Ländern unter anderem den Kölner Dom, das Weltkulturerbe Zeche Zollverein im Ruhrgebiet und das Humboldt-Forum im rekonstruierten Berliner Schloss.

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Besuch im Ruhrgebiet

Serdar Bekishov ist stellvertretender Direktor des Historical und Cultural State Park „Ancient Merv“ in Mary, Turkmenistan. Die Oase Merv gilt als die älteste, am besten erhaltene antike Stadt entlang der Seidenstraße. Besonders beeindruckt war Bekishov von der Art und Weise, wie Deutschland mit ausgedienten Industriebauten umgeht. „Dass es hier offenbar ein starkes Interesse gibt, solche Konstruktionen zu bewahren, finde ich spannend zu sehen. In meinem Land wäre das in dieser Form gerade nicht denkbar.“

Eero Juhani Ehanti, Leiter des Conservation Department des finnischen Nationalmuseums, interessierte sich vor allem für den Umgang Deutschlands mit Kunst aus kolonialem Kontext. So sehr er die Position derer nachvollziehen könne, die sich gegen die öffentliche Ausstellung solcher Werke im Berliner Humboldt-Forum aussprechen, so lobenswert findet er die Art und Weise, wie auf deren problematische Vergangenheit hingewiesen wird. „Wir stehen in Finnland gerade vor einer ähnlichen Herausforderung“, berichtet er. Das Nationalmuseum besitzt einige Kultgegenstände aus dem Land der Samen, der nordeuropäischen Urbevölkerung. „In diesem Zusammenhang sind auch wir mit Restitutionsforderungen konfrontiert. Und ich finde, hier können wir durchaus von Deutschland lernen.“

Einblick in die deutsche Denkmalpflege

Für Mariana de Souza Rolim, eine Stadtplanerin aus Brasilien, hat sich die Reise vor allem deshalb gelohnt, weil sie den Teilnehmenden ermöglichte, direkt mit deutschen Institutionen Kontakt aufzunehmen und in Zukunft vielleicht sogar miteinander zu kooperieren. Sehr deutlich wurde das zum Beispiel beim Besuch der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Dort gab Jonathan Bratz, Referent für städtebauliche Denkmalpflege, der Gruppe einen Einblick, wie die Stadt Berlin mit ihrem sich in Gebäuden manifestierenden kulturellen Erbe umgeht. De Souza Rolims Fazit: Bis ein Objekt tatsächlich geschützt wird, kann es aufgrund des komplexen Abwägungsprozesses zwischen staatlichen Vorgaben und öffentlicher Meinung zwar auch in Deutschland Jahre dauern. „Aber allein die Tatsache, dass grundsätzlich Fördermittel bereitstehen, dass man den Willen und die Kapazität hat, die Thematik zu durchdenken, ist schon ein großer Fortschritt.“

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Durchweg zu spüren war der Respekt der Teilnehmenden vor dem Umgang Deutschlands mit seiner Geschichte, speziell nach der Wiedervereinigung. Derzeit plane Berlin, so berichtete Jonathan Bratz der Gruppe, sich mit zwei Gebäudekomplexen für die Status des Weltkulturerbes zu bewerben: im Ostteil der Stadt die Wohnblöcke und Türme der Karl-Marx-Allee, in den 1950er-Jahren als „Stalinallee” errichtet und in ihrer Mischung aus sozialistischem Klassizismus und preußischer Schinkelschule als Arbeiterpaläste gedacht. Und im Westteil das Hansaviertel, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Architekten aus der ganzen Welt ihre Vision für die Zukunft des Wohnens aus liberal-demokratischer Perspektive umsetzten. „Was wir hier erlebten, war ganz klar eine Konkurrenz politischer, weltanschaulicher Systeme. Dies macht es als kulturelles Erbe für heutige und nachfolgende Generationen interessant.“

Weltweites Netzwerk an Kontakten

Anna Kouma, die aus Zypern anreiste, wo sie im technischen Ausschuss für das Kulturerbe des griechischen Teils der Insel sitzt, fand es äußerst inspirierend, wie konstruktiv der Umgang in einer ehemaligen Konfliktzone ablaufen kann, wenn man den Willen dazu aufbringt und auf starke staatliche Institutionen zurückgreifen kann. „Ich komme selbst aus einem geteilten Land und konnte viele spannende Impulse von der Besucherreise mit nach Hause nehmen.“ Für Eero Juhani Ehanti war die Woche in Deutschland eine einmalige Gelegenheit, sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. „Wir arbeiten ja oft ein wenig in unserer eigenen Blase. Jetzt kann ich auf ein weltweites Netzwerk an Kontakten zurückgreifen.“