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Neue Klänge, geprägt von Tradition

Der Berliner Tayfun Guttstadt spricht über sein Debütalbum „Tarâpzâde“, die Bedeutung der Türkei für seine Musik und den Klang des modernen Deutschlands.

Canan TopçuInterview: Canan Topçu, 06.07.2023
Tayfun Guttstadt verbindet Hip-Hop, osmanische Klassik und noch mehr.
Tayfun Guttstadt verbindet Hip-Hop, osmanische Klassik und noch mehr. © Mehmet Selim Aksan

Herr Guttstadt, vor Kurzem haben Sie das Album „Tarâpzâde“ rausgebracht. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Das ist meine eigene Wortschöpfung – sie enthält mehrere Referenzen. Zum einen „Trap“, eine neue Musikrichtung und Unterart des Hip-Hop, dann das arabische Wort „Tarab“, das so viel wie Entzückung und Trance bedeutet. „Tarab“ ist zudem die Bezeichnung der Musik der ägyptischen Sängerin Umm Kulthum. „Zade“ wiederum stammt aus dem Persischen und lässt sich übersetzen als „Nachkomme von“ oder „geprägt von“. Ich finde, dass dieses Kunstwort meine Musik gut zusammenfasst.

Wie würden Sie Ihr Debütalbum einer Laiin wie mir erklären?

Es ist der Versuch, Texte und Melodien aus der osmanischen Klassik Hand in Hand mit modernem Hip-Hop und Trap erklingen zu lassen. Dabei sind teilweise Neuinterpretationen bekannter Stücke und Gedichte entstanden, aber auch komplett neue Werke, die mit der Ästhetik und den Elementen beider Welten spielen.

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Sie sind Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Wie hat Sie das musikalisch beeinflusst?

Meine Eltern lebten getrennt. Ich bin bei meiner Mutter in Hamburg aufgewachsen, mein Vater lebte in Hannover. Daher bin ich viel mehr von meiner Mutter geprägt worden. Als Grundschüler habe ich ein Jahr mit ihr in der Türkei gelebt und bin in dieser Zeit mit türkischen Klängen in Kontakt gekommen – etwa über Musikshows im Fernsehen. Die arabeske Musik von İbrahim Tatlıses oder Volksmusik von Musa Eroğlu beispielsweise, wenn ich die heute höre, dann weckt das in mir Gefühle aus der Kindheit. Musik war schon früh ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich mache Musik, seit ich 13 Jahre alt bin, spielte anfangs Gitarre. Als ich anfing, selbst zu musizieren, hatte ich mit der Türkei und den türkischen Musiktraditionen so gut wie gar nichts mehr zu tun. Ich habe vor allem Rock und Hip-Hop gehört. Besonders Hip-Hop hat mich geprägt: Mit meinen Freunden habe ich gerappt und Beats aufgenommen.

Wie kam es dann dazu, dass aus dem jungen Mann mit Leidenschaft für Hip-Hop ein Ney-Spieler wurde?

Oh, um diese Frage zu beantworten, muss ich ein wenig ausholen. Anders als in meiner Kindheit hatte ich in meiner Jugend nicht mehr viel Bezug zur türkischen Kultur und Sprache, ich reiste kaum noch in die Türkei. Nur nach dem Tod meines Vaters war ich ein paar Mal bei Verwandten. Ich war damals 14 Jahre alt. Fragen zur Identität und Zugehörigkeit stellten sich aber wirklich intensiv erst, nachdem ich als 17-Jähriger an einem Schüleraustausch teilnahm und für ein Jahr in Guatemala lebte. Nach der Rückkehr hat mich die Frage beschäftigt, wie sehr einen das Land prägt, in dem man aufwächst. Und noch etwas stellte ich fest: dass das Herkunftsland meines Vaters eine ungeheure Faszination auf mich auszuüben begann. Ich wollte herausfinden, was es damit auf sich hat, habe wieder verstärkt Kontakt zur Familie meines Vaters aufgenommen und einen Onkel in Marmaris besucht. Rückblickend kann ich sagen: Dieser Onkel hat die Weichen für meine weitere musikalische Entwicklung gestellt.

Was hat er denn gemacht?

Er hat mich in Bars mitgenommen, in denen türkische Musik live gespielt wurde. Ich fand die Musik schön, berührend und faszinierend, aber auch sehr fremd. Die Rhythmen, die Melodien, all das funktionierte anders, als ich es gewohnt war. Das hat mich total angefixt. Mein Onkel ist dann mit mir in ein Musikgeschäft gegangen und hat den Verkäufer instruiert, eine Auswahl für mich zu treffen. Ich weiß noch ganz genau, mit welchen Alben ich den Laden verlassen habe: mit einer CD von Ceza, einem der ersten bekannten türkischen Rapper, einer von Mercan Dede, der Ambient Electro macht und dabei die Ney spielt, mit einem Album der Volksmusik spielenden Band Mecaz und dann noch mit einer CD, die klassische osmanische Musik und Jazz zusammenbrachte. Damit war der Grundstein für meine musikalische Weiterbildung gelegt.

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Wie sind Sie dann zur Ney gekommen? Dieses Instrument wird ja vor allem in der religiösen, spirituellen Musik verwendet.

Die genannten CDs waren entscheidend für meinen Entschluss, nach dem Abitur ein Jahr in der Türkei zu leben, Türkisch zu lernen und mich mit türkischer Kultur und Musik zu beschäftigen. In Istanbul habe ich mir als erstes eine Ney gekauft, auch weil sie auf Reisen einfacher zu transportieren ist als eine Gitarre. Ich habe eine Art „Work and Travel“-Jahr gemacht, habe in Artvin am Schwarzen Meer gelebt und in einem Naturcamp gearbeitet, später in Antalya in einem Hotel. In Istanbul habe ich dann Ney-Unterricht genommen, allerdings bei einem Lehrer, der das Instrument nicht in den religiösen Kontext stellt. Ich habe das Jahr über sehr intensiv Ney-Unterricht in Istanbul genommen, kehrte dann aber zurück nach Hamburg, um mit meinem Studium der Islam- und Musikwissenschaften zu beginnen. Meine Bachelorarbeit habe ich über osmanische Klassische Musik geschrieben.  Durch einen glücklichen Zufall habe ich während meines Studiums mit Turan Vurgun einen Kanun-Spieler gefunden, der auch aus der Klassik kommt und die Musik in Praxis und Theorie sehr gut beherrscht. Ich habe von ihm sehr viel gelernt; er hat mich als Begleitmusiker zu Auftritten mitgenommen.

Tayfun Guttstadt bei einem Auftritt in der Berliner „Villa Neukölln“
Tayfun Guttstadt bei einem Auftritt in der Berliner „Villa Neukölln“ © Villa Neukölln

Sie spielen nicht nur Ney, sondern singen ja auch – auf Ihrem Album neben jahrhundertealter Lyrik und Versen alevitischer Dichter auch eigene Texte. Wie ist die Idee für diese Kombination entstanden?

Nach dem Studium habe ich eine Zeit lang in der Türkei gelebt und bin in Antalya mit einer Jazz-Musikerin aufgetreten. Damals habe ich angefangen, an eigenem Texten und eigener Musik zu arbeiten, es fehlten mir aber noch der Mut und der Elan, etwas daraus zu machen. Dann bin ich nach Berlin gezogen, habe an der Humboldt-Universität Religion und Kultur studiert. Das war ein relativ neuer Studiengang; es war eine Mischung aus Religionssoziologie, Theologie und Philosophie. Während dieses Studiums habe ich mitbekommen, dass Religion, Kultur, Nationalität und Identität sehr viel facettenreicher sind als ich zunächst gedacht hatte – und dass wir alle geprägt sind von Traditionen, ob wir wollen oder nicht. Diese Erkenntnis hat mir mehr Mut und Selbstbewusstsein gegeben, die Elemente aus der islamischen, spirituellen Musikkultur zu nutzen und mich auch mit diesen Musikelementen auszudrücken und sie mit Hip-Hop-Elementen zu kombinieren. Vor fünf Jahren habe ich dann begonnen, meine Musik live zu präsentieren. Das kam sehr gut an. Ich bekam Rückmeldungen wie „Ich habe diese Musik gesucht, wusste aber gar nicht, dass ich sie suche. Beim Hören habe ich gemerkt, wie gut sie mir tut.“

Wer gibt Ihnen diese Rückmeldungen?

Vor allem junge Menschen mit hybriden Identitäten, Leute aus der Hip-Hop-Kultur, aus Familien mit religiösen und kulturellen Wurzeln im Nahen Osten. Der Zuspruch hat mich auch dazu ermutigt, ein Album zu machen. Es ist mit finanzieller Unterstützung der Initiative Musik des Bundes entstanden und meines Erachtens ein Zeugnis des modernen Deutschlands: Es haben viele Menschen daran mitgewirkt, die hier leben, aber unterschiedliche kulturelle und ethnische Wurzeln haben. Was mich überrascht hat: dass das Album in der Türkei erfolgreicher ist als in Deutschland. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass die Texte auf Türkisch sind.