Zum Hauptinhalt springen

Bitte genau hinschauen

Sind Comics ein geeignetes Medium, um das Leid von Menschen auf der Flucht abzubilden? Ja, auf jeden Fall! Hier ist der Beweis.

Fanny Steyer, 15.12.2017
Szene aus dem Comic „Liebe deinen Nächsten“
Szene aus dem Comic „Liebe deinen Nächsten“ © Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer

Deutschland. Menschen, die in langen Reihen warten, weinende Kinder, verzweifelte Familien: Solche Bilder von Flüchtlingen aus Syrien haben sich seit 2015 ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Mehrere Comics aus Deutschland nehmen sich nun des Themas an –  auf ganz unterschiedliche Weise.

Liebe zum Detail

Für die Reportage „Dem Krieg entronnen – Begegnungen mit Syrern auf der Flucht“ hat der deutsche Comiczeichner und Illustrator Olivier Kugler vier Jahre lang im Auftrag der Organisation Ärzte ohne Grenzen Gespräche mit Geflüchteten geführt. Zuerst im Nordirak, dann in Griechenland, Frankreich, Großbritannien und in seinem Heimatdorf bei Stuttgart. Kugler zeigt in akribischen Zeichnungen den harten Flüchtlingsalltag. Die Bilder fordern die Aufmerksamkeit des Betrachters, denn darin überlagern sich mehrere Zeit- und Bildebenen. Der Leser lernt die Geflüchteten mit ihren Geschichten, Wünschen und Gewissenskonflikten kennen.

Szene aus „Dem Krieg entronnen“
Szene aus „Dem Krieg entronnen“ © Olivier Kugler

Bordtagebuch in Bildern

Die Comicreportage „Liebe deinen Nächsten“ von Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel dokumentiert die Arbeit der Initiative SOS Méditerranée. Diese Organisation rettet mit einem eigenen Schiff Flüchtlinge im Mittelmeer. 2015 war das Künstlerpaar drei Wochen lang an Bord und sah sich die Arbeit aus der Nähe an. „Liebe deinen Nächsten“ beginnt mit Tuschebildern, die Eickmeyer am Computer koloriert hat. „Eigentlich sollte das ganze Buch in diesem Look erscheinen“, erklärt er, „aber etwas daran war nicht richtig. Der Computer schuf eine Distanz, die von der ersten Rettung an nicht mehr da war.“ Bis zu diesem Zeitpunkt kannte auch er Seenotrettungen nur aus den Nachrichten. „Dann war es Wirklichkeit.“ Die berührenden Illustrationen im zweiten Teil des Buches malte er deshalb vollständig von Hand.

Ein Labor für Comicjournalismus

Journalisten und Zeichner aus zehn Ländern haben sich im Projekt „Alphabet des Ankommens“ damit beschäftigt, wie Migration Menschen und Länder prägt und wie sich der Neuanfang in einem fremden Land anfühlt. Zwölf mehrsprachige Comicreportagen sind das Ergebnis eines Workshops des Deutschen Comicvereins im März 2017 in Hamburg. Die Journalistin Marlene Goetz verfasste eine Comicreportage über die psychischen Traumata jugendlicher Geflüchteter. „Es war eine Herausforderung, ein so komplexes Thema in Bildern zu inszenieren“, erzählt sie. Trotzdem ist sie überzeugt: „Es müsste in deutschen Medien mehr Comicjournalismus geben, denn er ermöglicht einen anderen Zugang.“