„Das waren Menschen, die leben wollten“
Gedenken und erinnern: Die Freiwillige Hanna absolviert ihr Auslandsjahr in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim/Auschwitz.

Hanna Hüttner träumt von einer Gesellschaft, die alle Menschen akzeptiert und respektiert; egal welche Hautfarbe, Herkunft, Sexualität, welches Geschlecht sie haben oder welcher Religion sie angehören. Sie möchte ihren Beitrag leisten, um dies zu erreichen. Dieser Wunsch gab für sie den Ausschlag, ein Auslandsjahr in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim/Auschwitz in Polen zu absolvieren. Seit vier Monaten lebt und arbeitet die junge Deutsche dort in der Nähe von Krakau in Polen.
Worin besteht deine Arbeit in der Jugendbegegnungsstätte?
Ich biete zur Zeit vor allem Stadtführungen an. Viele Menschen kennen Auschwitz wegen des Lagers, aber ihnen sagt die Stadt nichts. Demnächst werde ich auch Führungen im Jüdischen Museum anbieten. Ansonsten bin ich bei uns in der Begegnungstätte beschäftigt. Zu uns reisen Gruppen, oft aus Deutschland, aber auch aus Frankreich, Tschechien, Polen oder Finnland. Sie übernachten hier und haben jeweils ihre eigenen Programme, die aber meistens den Besuch des Stammlagers und von Birkenau beinhalten. Abends kommen wir dann oft zusammen, besprechen die Eindrücke von dem Besuch und helfen den Personen dabei, das Gesehene zu verarbeiten. Das wird oft sehr emotional. Auch sonst bin ich Ansprechpartnerin für alle Anliegen der Gruppen.
Du bist seit vier Monaten in Oświęcim. Gibt es einen Moment, den du in besonderer Erinnerung hast?
Bei den Stadtführungen gibt es jedes Mal einen sehr interessanten Moment: den, wenn ich danach frage, wie viel Prozent der Bevölkerung von Oświęcim in den 1930er Jahren wohl jüdisch waren. Die Schätzungen fallen immer unterschiedlich aus, aber dass mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung jüdisch war, das erstaunt die Menschen immer. Ich erzähle dann gerne die Geschichte einer jüdischen Familie. Sie hatten eine Fabrik in Oświęcim. Der Geschäftsinhaber und seine Frau reisten 1939 in die USA, um in New York an der Weltausstellung teilzunehmen. Ihre zweijährige Tochter blieb in der Zeit bei ihrer Großmutter. Als das Ehepaar zurück nach Deutschland reisen wollte, ging das nicht: in der Zwischenzeit war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. In den USA erreichte sie 1942 das letzte Lebenszeichen ihrer Tochter, die im Alter von fünf Jahren im Vernichtungslager Belzec umgebracht wurde, ebenso wie ihre Großmutter. Der Geschäftsinhaber wollte immer nach Oświęcim zurückkehren, hatte während der Zeit in den USA stets eine gepackte Tasche neben seinem Bett stehen. 1967 war es schließlich soweit. Doch Oświęcim war nicht wiederzuerkennen, der Traum von der Rückkehr in die Heimat geplatzt. 1970 starb der Fabrikant, wie seine Frau später sagte, an einem gebrochenen Herzen.
Wenn ich diese Geschichte erzähle, blicke ich in sehr betroffene Gesichter. Aber mir ist das wichtig, weil die Menschen so realisieren: Es ist nicht nur eine sehr große Zahl an Menschen, die ihr Leben im Holocaust verloren haben. Hinter jeder einzelner dieser Zahlen steht eine individuelle Geschichte. Das waren Menschen, die leben wollten. Und zu jedem dieser Menschen gibt es eine Familie, die trauert, oder gar ganz ausgelöscht wurde.

Wie ging es dir selbst, als du zum ersten Mal in den Gedenkstätten warst?
Das Gefühl kann man nicht beschreiben. Es nimmt einen mit, beschäftigt einen noch Stunden und Tage später. Man steht in diesen Gedenkstätten an Orten, wo so viele Menschen unter grausamen Bedingungen festgehalten und ermordet wurden. Dieses Leid darf man nie vergessen. Mich motivieren diese Eindrücke dazu, mich nach meinem Auslandsjahr weiter gegen Diskriminierung zu engagieren.