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Die Stadt als Chance

Eine europäische Initiative will die Rolle der Kommunen in der Flüchtlingspolitik stärken. Interview mit Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform.

12.06.2017
Gesine Schwan
Gesine Schwan © dpa - Gesine Schwan

Der Name des Treffpunkts gab die Richtung vor: Im „European Solidarity Centre“ in Danzig trafen sich Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um neue Wege für die Aufnahme und Integration von Zuwanderern zu finden. Eingeladen zur Konferenz „Relaunching Europe Bottom Up“ hatten das Zentrum selbst, die Stadt Danzig, die Foundation for European Progressive Studies und die Humboldt-Viadrina Governance Platform. Deren Präsidentin Gesine Schwan erklärt, wie aus Solidarität konkretes Handeln werden kann.  

Frau Schwan, das Ziel der Konferenz war es, „die sogenannte Flüchtlingskrise in eine europäische Wachstums- und Entwicklungsinitiative zu verwandeln”. Wie kann diese Initiative aussehen und wie weit sind die Teilnehmer dabei gekommen?

Bisher ist die Frage, wer nach Europa kommen darf, eine Entscheidung der Nationalstaaten. Doch bei der dezentralen Ansiedlung von Flüchtlingen in Europa sind sie gescheitert – es gibt keinen Mechanismus, nach dem Schutzsuchende auf die einzelnen Länder verteilt werden. Dabei gibt es das Potenzial an Solidarität mit Flüchtlingen, das wir in Deutschland gesehen haben, auch in den anderen europäischen Gesellschaften. Es findet sich vor allem auf der Ebene der Kommunen. Deshalb müssen wir einen Weg finden, dass die Städte Flüchtlinge aufnehmen können.

Wie können Kommunen gegen den erklärten Willen ihrer Nationalregierung – etwa in Polen, wo die Konferenz stattfand – diese Form von Solidarität zeigen?

Rechtlich haben die Nationalstaaten die Entscheidungsmacht, welche fremden Personen aufgenommen werden. Doch Bürgermeister sind oft starke Persönlichkeiten – wenn sie sich zusammentun und ein Bündnis zur Aufnahme von Flüchtlingen schaffen, ist das ein bedeutendes politisches Zeichen. Die Regierung wird daraufhin vielleicht versuchen, Städten Gelder zu streichen. Doch hier liegt die Chance der Europäischen Union – sie könnte den Gemeinden finanziell helfen. Die Regierung wird den Gemeinden nicht öffentlich verbieten, Geld anzunehmen.

Bislang werden die EU-Mittel allerdings meist über die Nationalstaaten verteilt.

Das kostet Zeit und dabei geht Geld verloren. Deshalb sind die Kommunen seit langem darauf aus, über ein Bewerbungssystem direkt Mittel aus Brüssel zu bekommen. Problematisch ist auch, dass es Gelder bislang meist nur für einzelne Projekte gibt, oft für große Infrastrukturmaßnahmen. Das erschwert die Anbindung der Bürger an die EU. Wenn an neuen Autobahnen oder Brücken ein Schild hängt: „Bezahlt mit Mitteln der Europäischen Union“, bringt das keine innere Identifikation. Ganz anders sieht es aus, wenn Bürger die Dinge in ihrer Gemeinde in die Hand nehmen und dafür Geld von Brüssel bekommen. Auf der Konferenz haben wir deshalb die Grundzüge eines Manifests beschlossen, das diese Idee festhält und Zwischenschritte definiert.

Was ist das konkrete Ziel?

Wir brauchen in Europa sowieso eine Investitions- und Wachstumsinitiative, um Arbeitslosigkeit und Infrastrukturprobleme zu überwinden. Die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten können wir damit verbinden. Unsere Vorstellung ist, dass möglichst jede Kommune ein Gremium gründet, in dem deren politische Repräsentanten, Unternehmen und die organisierte Zivilgesellschaft – also Gewerkschaften, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen – gemeinsam beraten, ob und wie viele Flüchtlinge die Stadt aufnimmt und wie sie deren Integration gestaltet. Wenn die Kommune dafür Mittel von der EU bekommt und dieselbe Summe noch einmal erhält, um zum Beispielzusätzlich  Energieeffizienzprojekte und Jobprogramme zu betreiben, hat man ein sinnvolles Paket. 

Ihre Konferenz hieß „Relaunching Europe Bottom Up“. Überhaupt scheinen die aktuellen Herausforderungen die Identifikation mit Europa „an der Basis“ zu stärken. Ist das auch Ihr Eindruck?

Ja. Die Demonstrationen der Initiative „Pulse of Europe“ sind eines von vielen Zeichen dafür. Europa ist in der letzten Zeit immer weiter auseinandergedriftet, weil die einzelnen Regierungen stets das tun, was ihre Chancen in nationalen Wahlen erhöht. Wir müssen deshalb ein Gegenwicht zu den Nationalstaaten schaffen, aber es reicht nicht zu sagen: „Die Zivilgesellschaft soll es machen.“ Sie ist zu unstrukturiert. Die Kommunen sollten es mit der organisierten Zivilgesellschaft und den Unternehmen machen – sie sind immer ein Kern von Demokratiebewegungen gewesen. Seit der Antike haben Bürger von Städten sich an der demokratischen Entwicklung der Gesellschaft beteiligt. Und durch Partizipation entsteht auch Identifikation. Das zu betonen ist das Gebot der Stunde.

Das Gespräch führte Helen Sibum.

© www.deutschland.de