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Die Karriere des Asparagus officinalis

Kaum meldet sich der Frühling zurück, verfallen die Deutschen ihrem Lieblingsgemüse – dem Spargel. Eine kulinarische Entdeckungsreise.

13.08.2012
© dpa - Spargel

In vielen Ländern der Erde werden die Bewohner mit einem landestypischen Gemüse in Verbindung gebracht. In Italien ist es die Tomate, in Frankreich die Artischocke, in England die Bohne. Fragt man nach einem spezifisch „deutschen Gemüse“ schallt einem „Kraut“ oder „Kartoffel“ ins Ohr – zwei Gemüsesorten, die vor allem eines versprechen: Sie machen satt und sind einfach zuzubereiten. Es ist ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Dabei wird es täglich widerlegt: Das Gemüseangebot auf einem deutschen Wochenmarkt ist vielseitig. Je nach Jahreszeit dominieren die unterschiedlichsten Produkte aus den heimischen Gärtnereien.

Wer im Frühling deutsche Hausfrauen oder Hausmänner auf dem Markt beobachtet, bemerkt eine mit jedem Tag ansteigende Nervosität: Ihre Blicke schweifen von Stand zu Stand und doch suchen sie noch vergeblich. Es sind marmorweiße Stängel, nach denen sie Ausschau halten – „asparagus officinalis“, oder einfach nur Spargel genannt. Die etwa 30 Zentimeter langen Stangen wachsen in der Erde, sobald sich der Boden im Frühjahr erwärmt. Zwischen April und Juni ist Spargel das Lieblingsgemüse der Deutschen. Spargel ist der Beweis, dass der Winter endlich vorbei ist. „Weißes Gold“ nennen ihn die Bauern. 113.000 Tonnen haben sie 2016 geerntet, auf einer Fläche, die 450-mal so groß ist wie der Vatikan oder wie 28 .000 Fußballfelder. Bis zu zehn Euro und mehr zahlt der Spargelfreund für ein Kilo guter Qualität – so viel wie für kein anderes Gemüse.

Vermutlich waren es die Römer, die neben dem Wein auch den Spargel mit über die Alpen brachten. Später wurde vor allem in den Klöstern das edle Gemüse gepflegt oder als Heilpflanze angebaut. Schon der griechische Arzt Hippokrates schwor auf Spargel als eine den Körper reinigende Medizin. Die Römer liebten ihn in seiner grünen Variante abgöttisch, er gehörte zu jedem Festmahl und wurde sogar zum geflügelten Wort: Wenn etwas sehr rasch geschehen sollte, musste es schneller sein, „als der Spargel zum Kochen braucht“.

Das, was heute als weißer oder bleicher Spargel auf den Tellern liegt, ist allerdings eher eine Erfindung der Neuzeit. Weil man herausfand, dass er seine weiße Farbe nur dann behält, wenn er vor Sonnenstrahlen geschützt unter der Erde wächst, werden kleine Erdwälle angehäufelt, in denen sich die Sprossen der Pflanze entwickeln. Es reichen schon Temperaturen von zwölf Grad, um sie wachsen zu lassen. Wird es wärmer, schießen die Stangen nahezu in jeder Stunde um 7,5 Millimeter in die Höhe.

Überall in Deutschland, wo sandige, trockene Böden den Anbau erlauben, sieht man im Frühjahr die langen Hügelreihen, die oft sogar mit schwarzer Folie bedeckt sind, damit die Sonnenstrahlen die Erde zusätzlich erwärmen. Als habe der Künstler Christo die Felder verpackt. Eigentlich ist Spargel ein Liliengewächs, das vor allem unter der Erde als Wurzelgeflecht seine Ausdehnung hat. Bis zu sechs Meter lang sind die Wurzeln, deren Knospen dann als Spargel senkrecht an die Erdoberfläche drängen.

Um der Erste zu sein, der die begehrten Stangen auf den Markt bringt, haben manche erfindungsfreudigen Bauern sogar Heizanlagen in ihren Acker eingebaut. Warmes Leitungswasser soll den Wuchs beschleunigen, denn je früher, desto teurer kann das Gemüse verkauft werden. Obwohl Spargel in allen Bundesländern angebaut wird, gibt es Regionen, die als Hochburgen des Spargels gelten. Schrobenhausen (Bayern), Schwetzingen (Baden-Würt­temberg) oder Beelitz (Brandenburg) sind Ortsnamen, bei denen vielen das Wasser im Munde zusammenläuft. Dabei ist Wasser das richtige Stichwort: Spargel besteht zu 93 Prozent aus Wasser. Der Rest sind Kohlehydrate und Proteine. Und weil er kaum Fette besitzt, macht er kaum dick. Seinen eigentlichen feinherben Geschmack verdankt er der Asparaginsäure (Aminosäure) und leichten Schwefelverbindungen.

Ob es seine Form ist, die ihm angeblich eine aphrodisierende Wirkung nahelegt? Wissenschaftlich belegt ist sie jedenfalls nicht, was die weltberühmten Sänger der „Comedian Harmonists“ aber nicht weiter störte, als sie im Jahr 1930 ihr bis heute beliebtes Lied über den Frühling sangen: „Die ganze Welt ist wie verhext – Veronika, der Spargel wächst“ lauten da zwei Zeilen, die niemand missversteht.

Das Geheimnis des Spargels ist seine Frische: Wenige Stunden nachdem er auf dem Feld gestochen wurde, muss er schon auf den Tellern liegen. Er lässt sich nicht lagern. Pünktlich zum 24. Juni, zum Johanni-Tag, ist der Spargelrausch dann vorbei. Wie sagt der Volksmund? „Kirschen rot, Spargel tot.“