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Neutralität und Freiheit

Der Politik- und Religionswissenschaftler Hüseyin Çiçek spricht über notwendige Grenzen der Politik in religiösen Fragen.

Johannes_GöbelInterview: Johannes Göbel, 28.03.2024
Begegnung auf einer Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz 2023
Begegnung auf einer Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz 2023 © dpa/pa

Herr Dr. Çiçek , in Deutschland ist eine neue Partei am Entstehen, die DAVA – Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch. Zu ihren Zielen zählt sie, „ein realistisches und positiveres Bild des Islams zu fördern“. Fehlte das bisher in der deutschen Parteienlandschaft?

Es ist völlig legitim, wenn sich Mitglieder der Einwanderungsgesellschaft – im Fall von DAVA vor allem mit Wurzeln in der Türkei – politisch engagieren. Problematisch wird es, wenn Interessengruppen Politik machen, die Deutschlands demokratisch-freiheitlichen Verfassungsstaat in Frage stellen. Mitglieder der DAVA sind in der Vergangenheit durch ihre Nähe zur Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş und der türkischen Regierungspartei AKP aufgefallen. Damit stehen sie nicht für Vielfalt, sondern vielmehr für Autoritarismus und Polarisierung der Gesellschaft. 

Hüseyin Çiçek: „Unbegründete Ängste und Emotionen“
Hüseyin Çiçek: „Unbegründete Ängste und Emotionen“ © Silvia Natter

Bestehen in Deutschland ausreichend Möglichkeiten, sich für religiöse Werte politisch einzusetzen?

Der Staat verpflichtet sich in Deutschland zu Neutralität in religiösen Fragen. Zugleich sichert das Religionsverfassungsrecht die Freiheit, nach der sich Religionsgemeinschaften in Deutschland organisieren können. Dennoch argumentiert die DAVA vor dem Hintergrund der Umma, der Gemeinschaft aller Muslime, die es zu retten gelte. Das schürt unbegründete Ängste und Emotionen, die in Wählerstimmen umgemünzt werden sollen. 

Gegen Deutschland gerichtete Propaganda, etwa aus Russland, verbreitet dagegen, dass religiöse Werte in Deutschland missachtet würden.

Hier wird bewusst mit Falschmeldungen oder Halbwahrheiten gearbeitet, um das freiheitlich-demokratische System Deutschlands zu diskreditieren. Es wird nahegelegt, dass dieser freiheitlich-demokratische Weg nicht der richtige ist. Aber diese Propaganda gefährdet wertvolle Errungenschaften wie Gleichberechtigung und Wahlfreiheit oder die politische Unabhängigkeit von Justiz und Medien. Stattdessen wird zum Beispiel einseitig für ein traditionelles Familienbild geworben, in dem kein Platz für die Mitglieder der LGBTQ-Community ist. Unter dem Deckmantel des Einsatzes für Religionsfreiheit wird vielmehr mit Motiven gearbeitet, die sich gegen eine liberale und plurale Gesellschaft richten.