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Neustart in Berlin

Venezuela steht vor großen Herausforderungen. Drei Exil-Venezolaner erzählen von ihrem neuen Leben in Berlin. 

Nicole Sagener, 18.05.2018
Carlos Mora
Carlos Mora © privat

Vor allem junge Venezolaner suchen ihr Glück im Ausland. Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa 1,5 Millionen Venezolaner außerhalb von Venezuela leben, Nichtregierungsorganisationen halten drei Millionen für wahrscheinlicher. Gerade Deutschlands Hauptstadt Berlin zieht viele junge Venezolaner an. Auf deutschland.de berichten drei von ihrem Alltag.

Carlos Mora, 28 Jahre alt, aus Puerto La Cruz

„Ich habe Berlin über einen Kurs meines Professors kennengelernt – und mich sofort verliebt. Die Stadt ist für mich als Architekten hochinteressant, die Menschen sind offen und sehr nett. Nach meinem Bachelorabschluss bin ich vor drei Jahren von Caracas nach Berlin gezogen. Zum Glück haben mich meine Eltern unterstützt. Jetzt absolviere ich an der Universität Potsdam den Master. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, in Venezuela zu leben. Ich liebe das Land, seine wunderbaren Menschen und Möglichkeiten. Aber wenn man sich draußen aufhält, hat man immer Angst: vor korrupten Polizisten, Raub, Gewalt. Die wirtschaftliche Lage wird immer prekärer. Meine Mutter – mit der ich täglich telefoniere – bekommt umgerechnet einen Euro Rente im Monat. Selbstständig als Händlerin arbeiten kann sie nicht mehr, weil der Import von Produkten nicht mehr funktioniert. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Medikamenten, sogar Toilettenpapier. Ich möchte in Berlin bleiben – auch wenn es nicht einfach ist, als Architekt einen Job zu finden. Ich bin dankbar hier zu sein. Viele meiner Freunde kommen nicht mehr aus Venezuela raus, weil ihnen das Geld dazu fehlt und es immer schwieriger wird, alle Unterlagen zu bekommen.“

Mahelin Rondon Fernandes, 31 Jahre alt, aus Caracas

Mahelin Rondon Fernandes
Mahelin Rondon Fernandes © privat

„Es war der Traum von mehr Ordnung und Regeln, der mich vor vier Jahren nach Berlin geführt hat. In Venezuela war das Chaos zu groß. Gezögert habe ich nicht lange. Ich wollte eine neue Sprache lernen, hatte ein Studienabschluss in Kommunikationswissenschaft und war optimistisch, schnell einen neuen Job zu finden. Ein Visum zu bekommen war dank meiner portugiesischen Staatsangehörigkeit einfach – mein Großvater ist Portugiese. Erspartes hatte ich auch, weil ich seit meiner Jugend nebenbei gearbeitet habe. Viele liebe Menschen haben mir hier in Berlin den Start erleichtert. Ich zog in eine WG, besuchte Deutschkurse, lernte schnell Deutsche kennen. Der Einstieg in den Job ist natürlich nie einfach. Ich brauchte in meiner Branche, der Filmproduktion, erst Kontakte. Inzwischen habe ich Netzwerke und kann nicht über zu wenig Arbeit klagen. Im Alltag musste ich mich zuerst an einige Dinge gewöhnen: wie es im Meldeamt läuft beispielsweise oder dass ich mit meinem Ticket einfach in den Fernbus steigen kann, ohne auf die Erlaubnis des Fahrers zu warten. Aus Venezuela kannte ich es so, dass man immer kontrolliert wird. Dorthin zurück will ich aktuell auf keinen Fall. Die Situation wird immer schlimmer, selbst die Versorgung mit Essen klappt nicht mehr. Ganz normale Familien müssen auf der Straße wie Obdachlose um etwas zu essen betteln – das ist traurig und ich würde daran zerbrechen.“

Gerardo Bernal, 31 Jahre alt, aus Caracas

Gerardo Bernal
Gerardo Bernal © Ben Livne Weitzman

„Es war ein deutscher Freund in Caracas, der vor ein paar Jahren zu mir sagte: ,Geh nach Berlin.‘ 2013 kam ich hier an – und es war überwältigend. Obwohl ich damals auch den härtesten Winter meines Lebens erlebte; es war so kalt! In Berlin fühle ich mich frei und sicher, kann mich viel zu Fuß und mit dem Rad bewegen und habe schnell Freunde gefunden. Obwohl ich am Anfang kein Deutsch sprach, halfen mir sehr viele. Als studierter Werbefachmann hatte ich zu Hause für ein Modemagazin gearbeitet. Aber momentan sehe ich keine Zukunft dort. Die Wirtschaft liegt brach, kleine und mittlere Unternehmen können kaum Geschäfte betreiben. Obwohl die Menschen frustriert sind, gibt es immer weniger Proteste. Die Furcht, festgenommen zu werden, ist zu groß. Auch ich hatte in meinem Alltag dort immer mehr Angst. In Berlin schließe ich jetzt einen Bachelor in Marketing ab. Wie ich leben fast alle meine Freunde inzwischen im Ausland. Alle wollen irgendwann zurück nach Venezuela und es zu einem besseren Land zu machen. Aber bis es wieder Hoffnung auf Wandel gibt, ist Berlin für mich ein zweites Zuhause.“

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