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Partner im Herzen Europas

Deutsch-polnische Städtepartnerschaften: Eine neue Studie zu Geschichte, Gegenwart und Perspektiven zieht eine beeindruckende Bilanz.

Ulrich Krökel, 26.10.2020
Die Oderbrücke verbindet die Doppelstadt Słubice/Frankfurt (Oder).
Die Oderbrücke verbindet die Doppelstadt Słubice/Frankfurt (Oder). © dpa

Herzlicher ging es kaum. Als die Covid-19-Pandemie im Juni zum ersten Mal ein wenig lockerließ, da fielen sich Mariusz Olejniczak und René Wilke spontan in die Arme. Drei Monate Grenzschließung wegen Corona lagen hinter den Oberbürgermeistern von Słubice und Frankfurt an der Oder und den Menschen in den Nachbarstädten. Also feierten sie gemeinsam auf einer Brücke über den Grenzfluss, der seine trennende Wirkung doch eigentlich längst verloren hatte. Jedenfalls hatte man das geglaubt, nach Polens EU-Beitritt 2004. Die Grenze war seitdem immer weniger spürbar gewesen. Bis Corona kam.

Corona-Lockdown war ein Schock für die Menschen

Der deutsch-polnische Lockdown des Frühjahrs war ein Schock für viele Menschen, die das Zusammenwachsen für selbstverständlich hielten. Die vorübergehende Trennung hat aber auch gezeigt, wie tief verwurzelt die Bindungen inzwischen sind. Genau davon zeugte auch die emotionale Umarmung von Wilke und Olejniczak. Sie verstießen damit zwar gegen Corona-Regeln, aber verübeln wollte ihnen das niemand. Denn Frankfurt und Słubice sind längst mehr als Nachbarstädte, die im Naturschutz oder im Nahverkehr zusammenarbeiten. Einzigartig ist die Kooperation der Europauniversität Viadrina mit dem Collegium Polonicum auf der anderen Oderseite. Vor allem aber besteht seit 1975 eine der ältesten und vitalsten deutsch-polnischen Städtepartnerschaften überhaupt.

Tiefe Freude: Rene Wilke, Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder, und Mariusz Olejniczak, Bürgermeister von Słubice, bei der Grenzöffnung nach Corona-Sperre.
Olejniczak, Bürgermeister von Słubice, bei der Grenzöffnung nach Corona-Sperre. © dpa

Über Geschichte, Gegenwart und Perspektiven solcher kommunaler Partnerschaften im Herzen Europas haben das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt und das Warschauer Institut für Öffentliche Angelegenheit soeben eine umfassende Studie vorgelegt. „Die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene ermöglicht den direkten Kontakt von Menschen aus beiden Ländern sowie die Realisierung konkreter Projekte, was wiederum auf die beteiligten Kommunen, Organisationen und Individuen zurückwirkt“, schreiben die Herausgeber Peter Oliver Loew und Agnieszka Łada und betonen, dass dies nicht zuletzt dazu diene, die „Lebensqualität der Bürger zu verbessern“.

Überall musste noch dickes diplomatisches Eis gebrochen werden.
Peter Oliver Loew

Die Doppelstadt Słubice/Frankfurt ist dafür sicher eines der eindrücklichsten Beispiele. Aber die Kooperation an der Oder ist beileibe kein Einzelfall. Das zeigt ein kurzer Blick auf die Liste der wichtigsten Partnerschaften. Vorreiter waren die Hansestädte. Stettin und Rostock sind seit 1959 verbunden, Bremen und Danzig seit 1976. Es folgten Posen und Hannover. Die mittelalterliche Königsstadt Krakau ist gleich mit drei deutschen Städten „liiert“, mit Frankfurt am Main, Leipzig und Nürnberg. Das niederschlesische Breslau pflegt Beziehungen zu Dresden und Wiesbaden, das zentralpolnische Łódź zu Chemnitz und Stuttgart. Und wie selbstverständlich sind die Hauptstädte Warschau und Berlin eng verbunden.

Historischer Moment: Die Bürgermeister von Bremen, Hans Koschnick, und Danzig, Andrzekj Kaznowski (rechts), unterzeichnen am 12.04.1976 in Danzig die Partnerschaftsurkunden.
Andrzekj Kaznowski (rechts), unterzeichnen am 12.04.1976 in Danzig die Partnerschaftsurkunden. © dpa

Um den wahren Stellenwert dieser Partnerschaften zu würdigen, lohnt ein Blick zurück auf die Ursprünge. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem französische, britische und bundesdeutsche Gemeinden, die regionale Kooperationen eingingen und auf diese Weise einen zentralen Beitrag zur Aussöhnung zwischen den Nationen und den Menschen leisteten. Daran knüpften noch zu Zeiten des Kalten Krieges die ersten Ost-West-Partnerschaften an. „Überall musste noch dickes diplomatisches Eis gebrochen werden“, schreibt Peter Oliver Loew und nennt das Beispiel Wiesbaden-Wrocław, wo es „zwei Jahre dauerte, ehe die Verschwisterung besiegelt war, wobei die Namensform des polnischen Ortsnamens – Wrocław, und nicht Breslau – ein wichtiger Streitpunkt war.“

Die Gräben der Vergangenheit überbrücken.
Aus einem Senatsbeschluß der Hansestadt Bremen

Umso höher zu bewerten ist der Beitrag der Städtepartnerschaften zur deutsch-polnischen Aussöhnung, die 1965 mit dem berühmten Appell der polnischen Bischofskonferenz einen ersten Aufbruch erlebte: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Als sich Bremen und Danzig 1976 zusammenschlossen, geschah dies ausdrücklich auch, um „die Gräben der Vergangenheit zu überbrücken“, wie es in einem Bremer Senatsbeschluss hieß. Als sich der Eiserne Vorhang hob, ging bald alles sehr viel schneller. Hatte es vor 1989 immerhin schon 42 deutsch-polnische Städtepartnerschaften gegeben, so kamen bis zur Jahrtausendwende mehr als 200 neue kommunale „Eheschließungen“ hinzu.

Knappes Geld erschwert die Partnerschaft

Ist also alles Gold, was da seit Jahrzehnten glänzt? Leider nicht. „Finanzierungsprobleme sind das Haupthemmnis für die Zusammenarbeit“, schreiben Agnieszka Łada und Alexander Fuksiewicz und verweisen auf Befragungen im Jahr 2019. Zu dem Zeitpunkt ahnte noch niemand die dramatische Entwicklung rund um die Corona-Pandemie. Die daraus resultierende Wirtschaftskrise, die auch die Staatshaushalte hart trifft, dürfte viele Projekte im Rahmen deutsch-polnischer Städtepartnerschaften in den kommenden Jahren vor Schwierigkeiten stellen. Davon unabhängig haben zuletzt aber auch politische Entwicklungen zu Belastungen für kommunale Kooperationen geführt.

Gemeinsamer Protest: Demonstration der Schwulen- und Lesbenvereine Frankfurts (Oder) und Słubices auf der Oderbrücke.
(Oder) und Słubices auf der Oderbrücke. © dpa

Das gilt insbesondere für eine Bewegung im Südosten Polens, wo sich inzwischen mehr als 100 Gemeinden, Kreise und ganze Woiwodschaften zu „Zonen frei von LGBT-Ideologie“ erklärt haben. Rechtlich sind diese Beschlüsse, die sich gegen Lesben, Schwulen, Bisexuelle, Transgender, intersexuelle und queere Menschen (LGBT+) richten, zwar wirkungslos. Viele Partnergemeinden in Deutschland und anderen EU-Staaten halten die Erklärungen aber für politisch inakzeptabel und erwägen, Kooperationen zu beenden oder zumindest zu suspendieren. Im Gespräch bleiben will man aber in jedem Fall.

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