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Wofür Deutsche streiten

Wie die deutsche Protestkultur sich entwickelt hat, weiß der Historiker und Protestforscher Philipp Gassert von der Universität Mannheim.

Kim Berg, 12.07.2019
Protestkultur in Deutschland
© dpa

Herr Professor Gassert, die Deutschen, so das Klischee, laufen nicht mal bei Rot über die Straße. Wie passt das mit den vielfältigen Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit zusammen?
Deutsche sind auch beim Protestieren sehr diszipliniert und ausdauernd – aber weniger brav, als das Klischee den Eindruck erweckt. Der Straßenprotest ist fester Bestandteil unserer politischen Kultur. Die großen Friedensbewegungen der 1950er- und 1980er-Jahre zählen zu den Höhepunkten unkonventioneller Beteiligung. Auch Jugendprotest, wie wir ihn im Moment wieder erleben, hat eine lange Geschichte in Deutschland.

Protestforscher Philipp Gassert
Protestforscher Philipp Gassert © Le chercheur Philipp Gassert, spécialiste de la contestation

Was unterscheidet Fridays for Future von der Studentenbewegung in den 1960er- oder der Umweltbewegung in den 1980er-Jahren?
Bei Fridays for Future gehen sehr junge Menschen auf die Straße. Die Studenten- und die Umweltbewegung mobilisierten vor allem Studierende, aber auch ältere Generationen.

Unterscheidet sich die Protestkultur in Deutschland von der anderer Länder?
Die Techniken und das Protestrepertoire unterscheiden sich nicht fundamental von jenen in anderen liberalen Demokratien. Trotzdem gibt es spezifisch nationale Schwerpunkte. In Deutschland ist das Thema Frieden aus historischen Gründen besonders stark in der Protestkultur verankert. Außerdem geht es häufiger um politische Probleme als um soziale Fragen, wie zum Beispiel in Frankreich oder Italien.

Welche Rolle spielen soziale Medien in der deutschen Protestkultur?
Sie haben eine zentrale Bedeutung als Mittel der Mobilisierung, der Organisation und der Kommunikation innerhalb von Bewegungen – aber auch in der Außenkommunikation mit Politik und Gesellschaft. Protestbewegungen waren schon immer sehr gut darin, sich des jeweils neuesten Mediums zu bedienen und kreativ auf den Medienwandel zu reagieren. Die Studentenbewegung von 1968 wurde auch deshalb so prominent, weil sie die Möglichkeiten des Fernsehens und des Bildjournalismus nutze. Ähnlich verhält es sich heute mit Fridays for Future und den sozialen Medien.

Welche Protestbewegung hat Deutschland am stärksten verändert?
Die neue Frauenbewegung, weil sie das Thema Geschlechtergerechtigkeit nachhaltig in der Gesellschaft verankert hat. Das veränderte Verhältnis von Männern und Frauen ist der wichtigste soziale Umbruch seit den 1960er-Jahren. Auch die Umweltbewegung ist in Deutschland extrem erfolgreich.

© www.deutschland.de

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