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Bereit für das höchste Amt Europas

Ursula von der Leyen wird Präsidentin der EU-Kommission und damit mächtigste Frau Europas. Wer ist sie, wo kommt sie her, wie tickt sie? Ihr Biograph verrät es.

Daniel Goffart, 24.10.2019
Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament
Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament © picture alliance/dpa

Ursula von der Leyen ist bekannt für ihr strahlendes Lächeln. Doch in den letzten Monaten musste sie sich schon sehr dazu zwingen. Erst wurde die Deutsche mit einer nur äußerst knappen Mehrheit vom Europäischen Parlament gewählt. Und dann ließen die EU-Abgeordneten auch noch drei Kandidaten durchfallen, die von den Mitgliedsstaaten für die neue Kommission nominiert worden waren. Die Leidtragende in dieser politischen Kraftprobe zwischen Parlament und Rat war die künftige Präsidentin. Ihr für Anfang November geplanter Amtsantritt wird sich wohl einige Wochen nach hinten verschieben – und das in einer für Europa äußerst schwierigen Zeit. Ein recht holpriger Start also für die 60 Jahre alte Politikerin der Christlich-Demokratischen Union (CDU). Doch so klein und zierlich die 1,61 Meter große Ursula von der Leyen auch ist – von politischem Gegenwind hat sie sich noch nie umwehen lassen. Obwohl die Tochter des langjährigen Ministerpräsidenten des Bundeslandes Niedersachsen Ernst Albrecht in einem einflussreichen Elternhaus groß wurde, hat sie sich ihren Weg in die Spitzenriege der Politik stets selbst erkämpft - mit eisernem Willen und schier unerschöpflicher Energie.

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Wer ist diese Frau, die den wichtigsten Posten übernehmen wird, den Europa zu vergeben hat? „UvdL“, wie ihr Kürzel im politischen Berlin lautet, ist eine Power-Frau: promovierte Ärztin, Mutter von sieben Kindern, erfolgreiche Dressurreiterin – und eine der erfahrensten deutschen Politikerinnen. Die im komplizierten Machtgeflecht der föderalen Bundesrepublik erlernte Fähigkeit zur engen Abstimmung und zum tragfähigen Kompromiss wird in Brüssel ihr wichtigstes Kapital bilden. Als Präsidentin der Kommission muss von der Leyen ein enormes Gespür dafür entwickeln, das politisch Machbare aus den vielen Wünschen der Mitgliedsländer herauszukristallisieren und den im Europäischen Rat versammelten Staats- und Regierungschefs schmackhaft zu machen. Das ist ihr durchaus zuzutrauen. Wer als deutsche Politikerin jahrzehntelang in Regierungsverantwortung war und sich im Bundesrat gegen 16 oft sehr eigenwillige Bundesländer durchsetzen musste, der hat ein gutes Rüstzeug, um sich auch mit den EU-Staaten zu arrangieren.

Die Grundregeln des politischen Show-Business lernte sie von Kindesbeinen auf.
Daniel Goffart, Biograph von Ursula von der Leyen

Geboren in Brüssel

Hinzukommt von der Leyens internationaler Hintergrund. Sie wurde in Brüssel geboren und verbrachte dort auch ihre ersten 14 Lebensjahre. Sie spricht auch heute noch perfekt Französisch. Ihr Vater war damals ein hoher EU-Beamter. Er brachte es bis zum Generaldirektor der Wettbewerbskommission, ehe die Albrechts nach Hannover zogen. Dort spannte der Vater bei seinen Wahlkämpfen regelmäßig die gesamte Familie ein. Man ließ sich im heimischen Park mit Ponys, Ziegen und Hunden ablichten oder bat die Fotografen zur Hausmusik ins herrschaftliche Wohnzimmer. Hier spielte „Röschen“, wie der CDU-Patriarch seine einzige Tochter Ursula nannte, zum Entzücken der Reporter auf dem Klavier. Die Grundregeln des politischen Show-Business lernte sie von Kindesbeinen auf.

Spätstart in die Politik

Trotz der familiären Prägung fand sie den eigenen Weg in die Politik eher spät. Zunächst suchte Ursula Abstand von der dominierenden Familie und studierte in London Volkswirtschaft. Doch die Ökonomie gefiel ihr wenig. Nach sechs Semestern brach sie das Studium ab, ging zurück nach Hannover und schrieb sich für Medizin ein. An der Uni lernte sie ihren späteren Mann kennen. Dass Heiko von der Leyen damals SPD-Mitglied war, störte Ursula so wenig wie sein „Atomkraft-nein-danke“-Aufkleber am Auto. Nach 20 Semestern wurde von der Leyen zur Ärztin approbiert. Da war sie schon ein Jahr lang verheiratet und hatte das erste Kind zur Welt gebracht. Die wachsende Familie zog nach Kalifornien, weil Heiko, inzwischen Medizin-Professor und heute Geschäftsführer einer Firma für klinische Studien, einen Ruf an die renommierte Stanford-Universität erhalten hatte.

Ursula von der Leyen mit Angela Merkel
Ursula von der Leyen mit Angela Merkel © picture alliance / Photoshot

1996 kehrten die von der Leyens nach Hannover zurück. Mitgebracht hat Ursula von der Leyen aus dieser Zeit neben perfekten Englischkenntnissen auch ein tiefes Verständnis für die USA und die angelsächsische Mentalität. In Hannover arbeitete sie noch fünf Jahre im Krankenhaus. Doch 2003 wagte sie dann den Sprung in die Politik – und legte gleich eine Blitzkarriere hin. Sie errang im ersten Anlauf ein Landtagsmandat und wurde als Novizin sofort zur Landesministerin für Soziales und Gesundheit ernannt. Doch das war erst der Anfang. Recht schnell wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel auf sie aufmerksam. Als Familienministerin in Berlin kämpfte von der Leyen erfolgreich für das Recht auf einen Kita-Platz und für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Bundesarbeitsministerin begann sie vier Jahre später den langen Kampf um die Frauenquote in deutschen Aufsichtsräten. Ihr Stern stieg immer weiter; längst galt Ursula von der Leyen im Kreis der Merkel-Nachfolger als Favoritin, als „Kanzlerin der Reserve“. Also unterzog Merkel sie einer letzten Bewährungsprobe und übertrug ihr 2013 das wohl schwierigste Amt, das in Berlin zu vergeben ist: das Verteidigungsministerium. Plötzlich sank der Stern von „UvdL“. Von der Leyen fand nie das rechte Verhältnis zu den Soldaten.

Ursula von der Leyen mit Emmanuel Macron
Ursula von der Leyen mit Emmanuel Macron © picture alliance / ZUMAPRESS.com

Doch dann kam die Wende – ohne dass sie oder jemand sonst es bemerkt hätte: Am 17. Juni reiste die Verteidigungsministerin zur internationalen Luftfahrtmesse in Le Bourget bei Paris. Ebenfalls anwesend war der französische Staatspräsident. Charmant und sachkundig unterhielt sich von der Leyen dort mit Emmanuel Macron über die Nato und Fragen der Sicherheitspolitik – in fließendem Französisch. Macron jedenfalls soll von der weltläufigen Deutschen sehr beeindruckt gewesen sein, hieß es später aus dem Elysée-Palast in Paris. Bei dieser Begegnung hatte sich Macron wohl entschieden, Ursula von der Leyen als alternative deutsche Kandidatin für den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber ins Spiel zu bringen – und damit sogar Angela Merkel zu überraschen. Es gibt sie also wirklich, diese bedeutenden Momente im Leben, in denen sich Entscheidungen anbahnen, ohne dass man sich der Tragweite des flüchtigen Augenblicks bewusst wäre. Für Ursula von der Leyen ist der Präsidentenstuhl der EU-Kommission nicht nur die Krönung ihrer politischen Karriere, sondern auch eine späte Heimkehr nach Brüssel. So schließt sich der Kreis.

Daniel Goffart ist Chefkorrespondent des Nachrichtenmagazins „Focus“ in Berlin und Autor der Biografie „Ursula von der Leyen“ (mit Ulrike Demmer). Sie erscheint Anfang November 2019 im Piper Verlag.

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