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„Wir haben eine grüne Zukunft“

Polen bezieht viel Energie aus Kohle – Klimaschützer wie Patryk Białas setzen sich für den Wandel ein und blicken dabei auf Deutschland.

Ulrich Krökel, 02.12.2019
Das schlesische Museum in Kattowitz.
Das schlesische Museum in Kattowitz. © dpa

Patryk Białas möchte lieber Deutsch sprechen als Polnisch oder Englisch. „Ich will üben“, sagt er. Schließlich sei Deutschland das große Vorbild, an dem sich jeder orientieren müsse, der in der Klimapolitik etwas bewegen wolle. Und Białas will etwas bewegen in Sachen Klimaschutz, in Polen, das einen Großteil seiner Energie aus Kohle gewinnt. Also trainiert er im Gespräch sein Deutsch, mitunter nach Worten suchend, aber fehlerfrei und fast ohne Akzent. Damit er leichter Kontakte knüpfen kann zu den Nachbarn im Westen, die kürzlich den Kohleausstieg beschlossen haben.

In Katowice, wo der 41-jährige Białas zu Hause ist und als einziger Grüner für die liberalkonservative Bürgerkoalition im Stadtrat sitzt, ist so etwas derzeit kaum vorstellbar. Die Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien ist zugleich das Zentrum des größten Kohle- und Industriereviers in Polen. Zabrze, Bytom, Chorzów – die Städte gehen hier so unmerklich ineinander über wie die im Ruhrgebiet im Westen Deutschlands. Tatsächlich haben die beiden Landstriche viel gemeinsam, vor allem natürlich die Bergbautradition. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen und Schlesien sind nicht zufällig Europäische Partnerregionen.

Geschützte Natur: der Morskie Oko in der Hohen Tatra.
Geschützte Natur: der Morskie Oko in der Hohen Tatra. © dpa

Allerdings sind in Oberschlesien noch Dutzende Gruben aktiv, während in der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop vor einem Jahr das letzte Stück deutscher Steinkohle gefördert wurde. Auch vor diesem Hintergrund hat Białas den Kontakt zur Energieagentur NRW gesucht, die im Auftrag des Landes in allen Fragen zu Klimaschutz, Erneuerbare Energien und Energieeffizienz Beratung anbietet. Der Pole träumt für seine Heimat von einem ähnlichen Strukturwandel wie im Ruhrgebiet. „Oberschlesien hat eine grüne Zukunft“, sagt er und fügt hinzu: „Die Wende wird schneller kommen, als viele glauben.“

Zehn Jahre gibt Białas dem Kohlebergbau in Polen noch. Das sieht Staatspräsident Andrzej Duda anders. 200 Jahre reichten die Kohlereserven im Land noch, rechnete er unlängst vor, und es sei falsch, sie nicht nutzen zu wollen. Mehr noch: „Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand den polnischen Bergbau ermordet.“ Diese Sätze sagte Duda zur Eröffnung der Weltklimakonferenz 2018 in Katowice.

In Deutschland ist der  Klimaschutz in allen Parteien längst zum herausragenden Thema geworden.
Patryk Białas, Stadtrat in Kattowitz

Białas war damals so entsetzt wie die angereisten Klimaaktivisten aus Deutschland und aller Welt. Die meisten polnischen Kommentatoren dagegen werteten die Einlassungen des Präsidenten als strategisches Manöver im Vorwahlkampf. Schließlich bezieht Polen fast 80 Prozent seiner Energie aus Kohle. Hunderttausende Menschen sind direkt oder indirekt vom wirtschaftlichen Wohlergehen der Branche abhängig.

„Das ist eine große Zahl“, sagt Białas, der weit davon entfernt ist, den Kumpeln und ihren Familien die Arbeit, das Einkommen und den Stolz nehmen zu wollen. „Diese Leute haben fantastische Fähigkeiten in vielen technischen Bereichen“, sagt er. „Wir können sie umschulen.“ Tatsächlich werden im boomenden Polen in vielen Wirtschaftszweigen händeringend Facharbeiterinnen und -arbeiter gesucht. Der Plan der PiS-Regierung sieht aber nur vor, den Anteil der Kohle am Energiemix bis 2030 auf 60 Prozent zu reduzieren.

„Das wird nicht reichen“, glaubt Białas. Die Regierung müsse dringend nationale Förderprogramme für Erneuerbare Energien auflegen. Das Problem sei, dass viele Politiker Angst vor den Bergleuten, ihren Gewerkschaften und der Meinungsmacht einer klaren Minderheit hätten. Minderheit? „Ja“, antwortet Białas und verweist auf neuere Umfragen. Demnach sprechen sich 72 Prozent der Polen für eine Energiewende aus, weg von der Kohle. Sogar 83 Prozent halten den Klimawandel für eine Bedrohung.

Das Kohlekraftwerk Jaworzno zwischen Kattowitz und Krakau.
Das Kohlekraftwerk Jaworzno zwischen Kattowitz und Krakau. © dpa

Das sind überraschende Zahlen für ein Land mit einer so großen Kohletradition. Allerdings ist in vielen Regionen Polens der Wintersmog in den vergangenen Jahren zu einem derart existenziellen Problem geworden, dass die Sehnsucht nach sauberer Luft enorm gewachsen ist. Über den Kampf gegen den Smog ist auch Białas zum Klimaaktivisten geworden. Der Vater einer zwölfjährigen Tochter und eines achtjährigen Sohns hat dabei die Gewissheit gewonnen, dass „die Bürger viel offener für Umweltschutz sind als die meisten Politiker“.

Auch in dieser Hinsicht sei Deutschland ein wichtiger Orientierungspunkt, sagt Białas. „Dort gibt es ja nicht nur die Grünen. Der Klimaschutz ist in allen Parteien längst zum herausragenden Thema geworden. Selbst bei den Leugnern.“ In seiner überzeugten Zuversicht geht der junge Kattowitzer Stadtrat davon aus, dass die Klimapolitik auch in Polen schon bei der nächsten Parlamentswahl 2023 über Erfolg und Misserfolg entscheiden werde. Er sucht einen Moment nach dem richtigen Wort und sagt dann: „Zum Siegerthema.“

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