Hier mehr Freiheit, dort mehr Druck
In Deutschland verändert sich die Arbeitswelt. Wie wirkt sich das auf die Menschen aus? Das sagt eine Psychologin über Homeoffice und Digitalisierung.
Julia Scharnhorst ist Diplom-Psychologin, Master of Public Health und approbierte Psychotherapeutin. Ihr Schwerpunkt ist die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz.
Frau Scharnhorst, ist Homeoffice die große Freiheit für Menschen in Bürojobs?
Für viele ist Homeoffice sehr attraktiv: Sie haben keine Arbeitswege mehr, können ungestört arbeiten und sich die Zeit frei einteilen. Auch die Kinderbetreuung kann einfacher werden. Andererseits besteht die Gefahr, vom Informationsfluss und vom Team abgeschnitten zu werden. Das Homeoffice kann auch die Einzelkämpfermentalität fördern. Daher ist es sinnvoll, Arbeitsplätze nicht komplett in das Zuhause der Beschäftigten zu verlegen, sondern dies auf einige Tage zu beschränken.
Die Generation Y fordert eine bessere Work-Life Balance. Die Unternehmen reagieren mit flexibleren Arbeitsmodellen. Wie weit soll das gehen?
Eine gewisse Freiheitbei der Einteilung der Aufgaben und der Wahl von Arbeitszeit und -ort ist gut für die psychische Gesundheit. Enge Vorgaben und starre Strukturen verursachen mehr Stress und psychische Störungen. Allerdings müssen Unternehmen dafür sorgen, dass Mitarbeiter, die viel von zuhause aus arbeiten, ausreichend integriert sind. Ganz wichtig ist, dass Anerkennung und Wertschätzung auch bei den Heimarbeitern ankommen.
Fabrikarbeiter sind eher damit konfrontiert, zukünftig Hand in Hand mit dem Roboter zu arbeiten. Welche Herausforderungen sehen Sie in der Digitalisierung?
Die Digitalisierung wird sich auf jede Art von Arbeitsplatz auswirken. Es ist damit zu rechnen, dass die psychische Belastung steigt, weil von den Beschäftigten mehr Konzentration und Aufmerksamkeit gefordert wird. Es besteht auch die Gefahr der Überforderung durch Arbeitsverdichtung und zu viel Information. Häufig geht Digitalisierung mit geringerer Autonomie einher, weil der Computer schon alle Entscheidungen getroffen hat und der Mensch sie nur noch in die Tat umsetzt.
Die Digitalisierung wirft schwierige ethische Fragen auf, denn nicht alles was technisch möglich ist, ist mit einer humanen Arbeitsgestaltung vereinbar. Arbeit und Arbeitsleistung werden immer besser kontrollierbar. Das verstärkt den Druck auf die Mitarbeiter.
Wo steht Deutschland bei modernen Arbeitsstrukturen im internationalen Vergleich?
Rein technisch könnten bereits mehr Möglichkeiten der Digitalisierung umgesetzt werden. Aber in Deutschland verhindern Arbeitsschutzgesetze und Gewerkschaften eine zu starke Kontrolle und Steuerung der Arbeitnehmer. In Ländern ohne derartige Gesetze kommt es vor, dass sogar die Zeit gemessen wird, die Beschäftigte auf der Toilette verbringen oder ihnen jeder Handgriff vom Computer vorgegeben wird. In Deutschland ist diese Form der Leistungsüberwachung nicht erlaubt.
Interview: Martin Orth
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