Kühlender Schaum
Wie ein deutsch-chinesisches Forschungsteam mit einem innovativen Kühlschaum die Auswirkungen des Klimawandels in Städten abmildern will.
Der Klimawandel lässt die Temperaturen in Städten immer weiter steigen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ETH Zürich simulierten in einer 2019 veröffentlichten Studie die Hitzeentwicklung von 520 Städten weltweit bis zum Jahr 2050 und stellten fest: Selbst bei einem nur mäßigen Anstieg der weltweiten Temperaturen wird es in 77 Prozent der Städte so heiß, dass sie die Klimazone wechseln. Denkbar wären dann Weinhänge in Kopenhagen und Wüstenhitze in Rom. In Deutschlands Hauptstadt Berlin könnte es im Sommer so warm werden wie aktuell im australischen Canberra. Das wäre ein Anstieg von mehr als sechs Grad. In besonders dicht bebauten Metropolen wie Paris müssen sich die Bewohner in nicht allzu ferner Zukunft wohl auf Außentemperaturen von bis zu 50 Grad einstellen.
Klimaanlagen zur Kühlung sind dabei keine Lösung. Im Gegenteil: Wie man aus Ländern wie den USA und China weiß, in deren Städten Air-Conditioning-Geräte inzwischen massenhaft eingesetzt werden, verstärken diese das Problem nur noch. Sie verbrauchen Unmengen an Energie und leiten zusätzliche warme Luft auf die Straßen. Das lässt die Temperaturen in den Häuserschluchten weiter steigen. „In heißen und feuchten Regionen gibt es zusätzlich das Problem, dass die Sonne tagsüber das Kühlmaterial aufheizt“, sagt Prof. Dr. Fu Yu, von der Nanjing University für Forstwissenschaften etwa 300 Kilometer westlich von Shanghai. „Viel effizienter wäre es, Gebäudefassaden so zu gestalten, dass sie das Sonnenlicht reflektieren.“
Zusammen mit Prof. Dr. Kai Zhang von der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Georg-August-Universität Göttingen, hat Fu Yu ein auf Zellulose-Nanokristallen basierendes Schaummaterial entwickelt, das sich in einer dünnen Schicht auf Gebäude aufbringen ließe, um diese trotz intensiver Sonneneinstrahlung kühl zu halten. „Die Idee, ein biomassebasiertes Material zur Kühlung zu entwickeln, brachte 2021 ein Doktorand aus China mit in meine Forschungsgruppe an der Universität Göttingen“, erzählt Zhang. „Das war der Start des Projekts.“
Zwischen den beiden Universitäten besteht schon seit Jahren eine enge Kooperation. „Wir arbeiten zum Teil an sehr ähnlichen Projekten oder in gleichen Forschungsfeldern und tauschen uns intensiv zu neuen Forschungsergebnissen aus“, so Zhang. Dass der Impuls für die Entwicklung eines neuen Kühlmaterials gerade aus China kommt, wundert ihn nicht. „Wir sehen dort schon jetzt Megastädte wie Chongqing mit über 20 Millionen Einwohnern, die im Sommer Temperaturen von mehr als 40 Grad ertragen müssen. Und in denen man aktuell ausschließlich auf Klimaanlagen setzt, um in so einer Hitze überhaupt noch leben und arbeiten zu können.“
Weniger Hitze durch weiße Wände
Das sogenannte CNC-Aerogel (cross-linked cellulose nanocrystal) besteht aus Zellulose Nanokristallen und weist eine ultraweiße Struktur auf, die 96 Prozent des Sonnenlichts reflektiert. Auch die Infrarot-Emissionsleistung ist mit 92 Prozent sehr günstig für einen ausgeprägten Kühleffekt. Der Wert gibt an, zu welchem Grad ein Material Wärme abstrahlt. Die Wärmeleitfähigkeit des Materials ist wiederum extrem gering, das heißt, das Material heizt sich selbst praktisch nicht auf. Unter direkter Sonneneinstrahlung könnten, so die Forscherinnen und Forscher, Temperatursenkungen von bis zu 9,2 Grad und selbst in heißer und feuchter Umgebung von bis zu 7,4 Grad erzielt werden.
Weniger Hitze durch weiße Wände – das ist eine Strategie, die inzwischen viele Städte anwenden, um sich im Sommer vor Hitze zu schützen. In Karlsruhe etwa, einer der wärmsten Städte Deutschlands, sollen öffentliche Plätze und Gebäude nur noch in hellen Farben gestaltet und Hauswände wenn möglich weiß verputzt werden. Der Temperaturunterschied auf einem weißen Dach im Vergleich zu einem schwarzen kann bis zu 23 Grad Celsius betragen, hat die NASA in einem Bericht ermittelt. In New York hat die Initiative Cool Roofs bereits mehr als 500.000 Quadratmeter Dachflächen weiß gestrichen. Zehn bis maximal 30 Prozent der Energiekosten für Kühlung ließen sich auf diese Weise einsparen.
Das neu entwickelte Aerogel erzielt hier noch bessere Werte. Nach Berechnungen der Forscherinnen und Forscher könnte sich der Kühlenergiebedarf bei voll bedecktem Dach und Außenfassaden auf mehr als 35 Prozent belaufen. „Noch viel wichtiger ist, dass das CNC-Aerogel durch seine Elastizität eine dynamisch veränderbare Kühlleistung ermöglicht“, erklärt Kai Zhang. Steuern ließe sich dies durch den Grad der Kompression. „Je stärker man die Nanokristallaerogele zusammenpresst, desto geringer fällt die Kühlleistung aus – und umgekehrt.“ Dabei könnte der etwa ein Zentimeter dicke Schaum nicht nur ganze Gebäude umhüllen, sondern auch als kühlende Schicht für kleinere Geräte eingesetzt werden, die im Freien unter direkter Sonneneinstrahlung betrieben werden. Auch als Schutzmaterial für den Transport von frischen Lebensmitteln wäre das Aerogel denkbar.