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Eine neue Ära

Klaus Blaum, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, über die bisherige und zukünftige Zusammenarbeit mit der neuen Wissenschaftsmacht China.

Klaus Blaum, 28.09.2021
Ein chinesischer Wissenschaftler an einem Max-Planck-Institut
Ein chinesischer Wissenschaftler an einem Max-Planck-Institut © Patrick Wack/Max-Planck-Gesellschaft

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto sieht man zwei Männer nebeneinander auf einem Sofa sitzen, über ihnen das Bild des „Großen Vorsitzenden“ der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong. Das Foto entstand im April 1974 in Peking und zeigt den damaligen Max-Planck-Präsidenten Reimar Lüst im Gespräch mit dem Vizepräsidenten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, Wu Youxun. Dieses Treffen legte den Grundstein für eine außerordentlich erfolgreiche Zusammenarbeit in den folgenden Jahrzehnten, die sicher auch zum wissenschaftlichen Aufstieg Chinas beigetragen hat. Den Beginn der Kooperation prägten vor allem die Aus- und Weiterbildung von Stipendiatinnen und Stipendiaten, die zunächst nur in kleiner Zahl nach Deutschland kamen.

Rund ein Drittel aller Führungspositionen im Bereich Forschung und Entwicklung in China sind heute mit Personen besetzt, die in Deutschland wissenschaftlich ausgebildet wurden.
Klaus Blaum, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft

Mit Beginn der 1980er-Jahre war die Max-Planck-Gesellschaft dann schon mit einem eigenen Gästelabor am Institut für Zellbiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shanghai präsent und eröffnete so zahlreichen Forschenden aus Deutschland die Möglichkeit, im Land  gemeinsam mit chinesischen Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten und den chinesischen Nachwuchs zu unterrichten. 1995 wurden dann erstmals Selbstständige Nachwuchsgruppen nach dem Vorbild der Max-Planck-Forschungsgruppen eingerichtet. Sie sollten für junge, im Ausland lebende chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Rückkehr nach China attraktiv machen.  Junge Forschende mit vielversprechenden Karriereperspektiven in den USA waren nun bereit, diese zugunsten dieser Gruppenleitungen aufzugeben. Rund ein Drittel aller Führungspositionen im Bereich Forschung und Entwicklung in China sind heute mit Personen besetzt, die in Deutschland wissenschaftlich ausgebildet wurden.

Der Anfang einer starken Zusammenarbeit: Treffen 1974 in Peking
Der Anfang einer starken Zusammenarbeit: Treffen 1974 in Peking © MPG und CAS

China ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, hinter den USA. Betrug der Anteil Chinas am Welthandel 1995 lediglich 2,3 Prozent, so lag er 2019 nach Schätzungen der UN bereits bei 10 Prozent. 377 Milliarden US-Dollar hat China laut Bloomberg im Jahr 2020 in Forschung und Entwicklung investiert, das waren 2,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Damit hat das Land zum Euroraum aufgeschlossen. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren beschleunigen. Laut dem in Peking jüngst verabschiedeten Fünfjahresplan für 2021 bis 2026 wird China sein Forschungs- und Entwicklungsbudget auf den Stand der USA erhöhen und damit die Weichen für die kommende wissenschaftliche Entwicklung stellen. Allein in der Grundlagenforschung steigen die Ausgaben 2021 um fast elf Prozent. Dabei nimmt China vor allem zukünftige technologische Innovationen in den Blick. Die Grundlagenforschung konzentriert sich daher auf Themen wie Quanteninformationstechnik und künstliche Intelligenz. Schwerpunkte werden auch die Informations- und Kommunikationstechnologien sein, die Halbleitertechnik, die Biotechnologie, hier insbesondere die Hirn- und die Genforschung, die Erforschung des Weltraums, der Tiefsee und der Polargebiete sowie neue Materialien und Rohstoffe.

Klaus Blaum, bei der MPG zuständig für die Zusammenarbeit mit China
Klaus Blaum, bei der MPG zuständig für die Zusammenarbeit mit China © privat

2017 produzierte China 19 Prozent aller wissenschaftlichen Publikationen weltweit und damit mehr als die USA. Spitzenreiter sind allerdings die Länder der Europäischen Union, die gemeinsam einen Anteil von 26 Prozent an den weltweiten Veröffentlichungen haben. Was aber viel wichtiger ist: Es ist schon lange nicht mehr nur Masse, was China produziert. Im renommierten Nature Index beispielsweise, der die Zahl der Top-Publikationen auswertet, steht die Chinesische Akademie der Wissenschaften inzwischen auf Platz eins, vor der Harvard University und der Max-Planck-Gesellschaft. Es ist also keine Frage mehr: China ist wissenschaftlich auf Augenhöhe mit den USA und Europa.

Wir brauchen Mut und Weitsicht – Mut, um für unsere eigenen Werte und Standards einzustehen, und Weitsicht, um die Partnerschaft mit China klug und fair fortzuführen.
Klaus Blaum, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft

Und China investiert zunehmend in eigene anspruchsvolle wissenschaftliche Infrastruktur. So baut das Land für die Materialwissenschaften seit etwa zwei Jahren eine Hochenergie-Synchrotron-Strahlungsquelle auf. Im Bereich der Astrophysik und Astronomie hat China das weltweit größte Radioteleskop in Betrieb genommen. Im Bau befindet sich auch eine neue Interferometer-Anlage, die der experimentellen Erforschung von Gravitationswellen dienen soll sowie eine Schwerionenbeschleunigeranlage zur Erzeugung von Radionukliden für Grundlagenforschung und medizinische Anwendungen. Vor diesem Hintergrund ist eine strategische Zusammenarbeit mit China auf bestimmten Forschungsfeldern unverzichtbar. Aber so fruchtbar die Zusammenarbeit mit China im Bereich der Naturwissenschaften ist, so herausfordernd ist die Zusammenarbeit in anderen, etwa sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern. Hier sehen wir in den letzten Jahren eine deutliche Verschlechterung. Nicht jede Entwicklung in China stimmt uns daher optimistisch.

Die Verschärfung des Außenwirtschaftsrechts der Europäischen Union sowie die US-amerikanischen Sanktionen gegenüber China, die dazu geführt haben, dass bestimmte US-Technologien nicht ohne Genehmigung an Einrichtungen in China ausgeliefert werden dürfen, können die Kollaborationsmöglichkeiten deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in China ebenfalls erheblich einschränken. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgen wir auch die chinesischen Gesetzgebungsverfahren zu Forschung und Entwicklung. Hier plant die Volksrepublik eine Reihe von Gesetzen, die direkte Auswirkungen auf Forschungskooperationen haben könnten, zum Beispiel auf die Verwendung von Forschungsdaten, die in gemeinsamen Projekten in China generiert wurden. Sollten solche Gesetze tatsächlich in der vorliegenden Form in Kraft treten, werden Forschungskooperationen mit unseren chinesischen Partnern sicher deutlich schwieriger.

Für die weitere Zusammenarbeit mit China brauchen wir, wie schon 1974, Mut und Weitsicht – Mut, um für unsere eigenen Werte und Standards einzustehen, und Weitsicht, um die Partnerschaft mit China klug und fair fortzuführen. Wir brauchen Transparenz in der Ausgestaltung und im Management unserer Partnerschaft. Der Wissenstransfer darf nicht einseitig sein. Und wir müssen ein gemeinsames Verständnis von „guter wissenschaftlicher Praxis“ sicherstellen, insbesondere im Sinne von Forschungsethik (etwa bei der Erhebung personenbezogener Forschungsdaten), bei den Risiken von Dual Use und dem Schutz intellektuellen Eigentums. Wir sollten uns auch nicht scheuen, immer wieder für die europäische Vorstellung von Wissenschaftsfreiheit einzutreten. Nicht umsonst stand die Kampagne der deutschen Wissenschaftsorganisationen zum 70. Jahrestag der im deutschen Grundgesetz verfassungsrechtlich verankerten Wissenschaftsfreiheit unter dem Leitsatz „Freiheit ist unser System“.

 


Klaus Blaum, der Autor dieses Beitrags, ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft und dort zuständig für die Zusammenarbeit mit China. Dieser Beitrag ist eine überarbeitete und autorisierte Kurzversion einer längeren Fassung, die zuerst im Magazin „Max Planck Forschung 2/21“ erschien.


 

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