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Der deutsche Wortschatz

Ein Interview mit Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, zum Abschluss der Reihe „Deutsch 3.0“ des Goethe-Instituts.

Helen Sibum, 27.11.2014
© Eric AudrasOnoky - Deutsch 3.0

In Ihrer Eröffnungsrede zur Veranstaltungsreihe Deutsch 3.0 haben Sie gesagt: „Der Magen der deutschen Sprache hat in den letzten 100 Jahren erstaunlich viel verdaut.“ Was meinen Sie damit?
Im Zuge von Industrialisierung und Modernisierung hat die deutsche Sprache eine immense Erweiterung ihres Wortschatzes und einen Wandel ihrer grammatischen Grundformen erlebt. Man denkt immer gleich an Anglizismen wie „Service Point“ und vergisst dabei, wie früh dieser Prozess begonnen hat und wie intensiv er war. Das sieht man an einem Fremdwort wie Film: Noch in den 1920er-Jahren war sich die deutsche Sprachgemeinschaft nicht einig, wie der Plural lautet: Films oder Filme. Damals entschied man sich noch für Films. Das zeigt, dass die Aufnahme von fremdsprachigen Wörtern einhergeht mit der Einführung neuer Kulturtechniken, Medien, Kommunikationsformen. Ich plädiere dafür, das zunächst als einen produktiven, inspirierenden Vorgang zu betrachten und nicht immer erst die Verlustrechnung aufzumachen.

Die Sorge vor einem „Sprachverfall“, nicht zuletzt durch die Neuen Medien, ist also unberechtigt?
Was wir in den letzten 100 Jahren vor allem mit dem Englischen erlebt haben, passierte zwei Jahrhunderte zuvor mit dem Französischen und in der Renaissance mit dem Italienischen. Schon das Entstehen einer deutschen Literatursprache im hohen Mittelalter geschah im intensiven Austausch mit dem Lateinischen. Selbst die hartnäckigsten Sprachpuristen würden heute nicht mehr „Windauge“ sagen, sondern „Fenster“, obwohl das ein lateinisches Lehnwort ist. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat in ihrem ersten „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ genau diese Veränderungen des Wortschatzes überprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass der deutsche Wortschatz noch nie so reich war wie heute.

Bei Deutsch 3.0 ging es auch um Deutsch als Sprache der Wirtschaft. Inwiefern ist unsere Sprache in diesem Zusammenhang von Bedeutung?
Gerade in der Wirtschaft würde man erwarten, dass das Englische die Aufgabe der Kommunikation hinreichend erfüllt. Offenbar hängt aber auch ökonomischer Erfolg davon ab, ob die Beteiligten die Muttersprachen ihrer jeweiligen Geschäftspartner einigermaßen sprechen und verstehen. Die Notwendigkeit einer lingua franca in der Wirtschaft wie in allen anderen Bereichen ist unbestritten. Die Frage ist nur: Sollte sie nicht ergänzt werden durch andere Sprachen?

Abschlussveranstaltung „Deutsch 3.0“ am 1. Dezember 2014 im Museum für Kommunikation in Berlin

www.deutscheakademie.de

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