„Viele clevere Ideen stammen aus der Natur“
Was können wir aus der Biologie lernen, um technische Innovationen voranzutreiben? Bionik-Professorin Antonia Kesel gibt Antworten.

Frau Professorin Kesel, was ist das eigentlich – Bionik?
Bionik ist eine transdisziplinäre Wissenschaft im Grenzfeld zwischen den Naturwissenschaften – mit der Biologie als Basis – und den Ingenieurwissenschaften. Letztere verstehen sich eher als Anwendungswissenschaften. Das bietet Disziplinen wie der Architektur oder auch Logistik Raum für bionische Optimierungen nach dem Vorbild der Natur.
Was kann die Bionik leisten?
Bionik kann Probleme lösen, die sich mit unidisziplinären Ansätzen nicht spontan oder gar nicht lösen lassen. Immer dann, wenn mehrere bis viele Aspekte simultan zu berücksichtigen sind, steht die Technik vor großen Herausforderungen. Ein Blick in die Biologie liefert hier oft vielversprechende Ansätze. Denn rund 3,4 Milliarden Jahre Entwicklungsarbeit und aktuell etwa 20 Millionen unterschiedliche Spezies auf diesem Planeten bieten einen reichen Fundus.
Biologische Strukturen sind fast immer ressourcenoptimiert, nach dem Motto „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“. Daher sind Produkte oder Prozesse nach biologischem Vorbild meist effizienter – eine Möglichkeit, Energie zu sparen und das Klima zu schonen.

Welche Produkte oder Anwendungen finden Sie besonders spannend?
Viele clevere Ideen stammen aus der Natur. Die Haihaut als Vorbild hilft, den Strömungswiderstand an Flugzeugen und Schiffen zu senken – das spart Treibstoff. Zudem entstand daraus ein giftfreier Unterwasseranstrich, der Schiffe und Aquakulturen vor Seepocken schützt.
Der Salvinia-Effekt, benannt nach einem Schwimmfarn, inspiriert Beschichtungen für Schiffsrümpfe, die unter Wasser eine Luftschicht halten – ebenfalls gut für Effizienz und Umwelt.
Auch aus der Wüste kommt eine geniale Idee: Der Nebeltrinker-Käfer gewinnt aus feuchter Luft Trinkwasser. Seine Körperoberfläche dient als Vorbild für technische Nebelfänger in trockenen Regionen.
Sehr wirksam sind Leichtbaustrukturen in Autos und Flugzeugen, deren Form an biologische Vorbilder angelehnt ist – das spart Material und Energie.
Dazu kommen selbstheilende Materialien – etwa Beton, der kleine Risse schließen kann. Und auch die Künstliche Intelligenz orientiert sich an der Natur: Neuronale Netze ahmen die Art nach, wie unser Gehirn lernt und Informationen verarbeitet.
In welchen bionischen Forschungsfeldern sehen Sie besonderes Potenzial?
Ehrlich gesagt: in allen! Aktuell halte ich die Oberflächenfunktionalisierung für besonders wichtig: Widerstandreduktion ist immens klimarelevant! Gleiches gilt für passive Temperaturreduktionen an Oberflächen. Auch der Werkstoffbereich hat riesiges Potenzial. Das Ziel lautet: smart, selbstheilend und nachwachsend. Nicht zu vergessen: medizinische Assistenzsysteme, adaptiv und intelligent. Oder die Informationsverarbeitung, etwa für das Management von Big Data.
Sie sehen: Da wird noch viel passieren!
Zur Person: Antonia Kesel
Prof. Dr. Antonia Kesel ist Leiterin des Bionik-Innovations-Centrums und Studiengangsleiterin des Master- und Bachelorstudiengangs Bionik an der Hochschule Bremen. Sie forscht an bionischer Übertragung von Befunden aus der Biologie in zukunftsorientierte Technik. Darüber hinaus ist Kesel Vorstandsvorsitzende des Bionik-Kompetenznetzwerks BIOKON.