Selbstvertrauen statt Feindbilder
Die „Forschungskooperation Niedersachsen – Israel“ versucht, Feindseligkeiten zwischen Gruppen zu entschärfen – auch im Nahostkonflikt.

Spannungen, Feindseligkeiten und gewalttätige Konflikte rund um den Globus bestimmen tagtäglich die Nachrichten. Derzeit hält unter anderem die Eskalation des Israel-Palästina-Konflikts die Welt in Atem. Ein von der „Forschungskooperation Niedersachsen – Israel“ unterstütztes Projekt arbeitet an Lösungen, die Modellcharakter haben könnten: Arbeitsgruppen der Leuphana Universität Lüneburg und der Hebrew University of Jerusalem bündeln ihre Expertise und entwickeln gemeinsam psychologische Interventionen – also Maßnahmen, um Feindseligkeiten zwischen Gruppen zu reduzieren und positive Kontakte zwischen Gruppen zu fördern. Es ist eines von acht wissenschaftlichen Kooperationsprojekten, mit denen das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur sowie die VolkswagenStiftung die Zusammenarbeit von Forschenden aus Niedersachsen und Israel stärkt.
Rückenwind für gemeinsame Forschung
Seit 1977 unterstützen das Ministerium und die Stiftung mit der gemeinsamen Initiative den wissenschaftlichen Austausch zwischen niedersächsischen und israelischen Hochschulen (…) und Forschungseinrichtungen in den Fachgruppen „Geistes- und Sozialwissenschaften“, in den „Bio- und Lebenswissenschaften, Medizin“ sowie in den „Naturwissenschaften, Mathematik, Ingenieurwissenschaften“. Die in der aktuellen Runde mit vier Millionen Euro geförderten Projekte decken eine weite Spanne an Themen ab: Mit den ethischen Herausforderungen in der digitalen Gesundheitspolitik beschäftigen sie sich ebenso wie mit Zweisprachigkeit unter herausfordernden Hörbedingungen oder einem nahe Jerusalem ausgegrabenen antiken Tempel, der wieder zum Leben erweckt werden soll. Vor dem Hintergrund des brutalen Terrorüberfalls der Hamas am 7. Oktober 2023 stockten das Land Niedersachsen und die VolkswagenStiftung die Fördersummen auf und verlängerten die Laufzeiten bereits bestehender Projekte, bei denen das Kriegsgeschehen Zusatzbedarfe verursacht.
Das Konzept der Selbstaffirmation
Das Projekt Using Self-Affirmation to Reduce Intergroup Hostility and Facilitate Intergroup Contact in the Israel-Palestinian Conflict setzt dort an, wo Konflikte entstehen. „In der Sozialpsychologie unterscheiden wir zwischen In- und Out-Groups“, erklärt der Motivationspsychologe Dr. Timur Sevincer, Projektleiter am Institute for Sustainability Psychology der Leuphana Universität Lüneburg. Das Thema Selbstregulation ist einer seiner Forschungsschwerpunkte. „Mit der sogenannten Eigengruppe identifizieren wir uns stark, schreiben ihr mehr Rationalität und moralisches Handeln zu als den Fremdgruppen.“ Während auf der eigenen Seite ein Wir-Gefühl entsteht, werden Mitglieder anderer Gruppen häufig abgewertet und verzerrt wahrgenommen. „Diese Mechanismen können zu Vorurteilen und Diskriminierung zwischen Gruppen führen“, so Sevincer. Bis hin zu Feindseligkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Das Konzept der Selbstaffirmation setzt auf positive Beeinflussung des Selbstwertgefühls. „Wir wollen verstehen, welche Prozesse Menschen daran hindern sich zu öffnen, die Perspektive des anderen einzunehmen, Kompromisse einzugehen oder anderen zu vertrauen“, sagt Professor Eran Halperin, er begleitet das Projekt am Department of Psychology der Hebrew University of Jerusalem. Ziel seiner Forschung auf dem Gebiet der Interventions- und Konfliktforschung von Gruppen ist es, diese Barrieren durch psychologische Interventionen zu überwinden. Mit dem amerikanischen Psychologieprofessor David Sherman von der University of California in Santa Barbara ist außerdem ein Experte auf dem Gebiet der Selbstaffirmation Teil der niedersächsisch-israelischen Kooperation. „Wir alle forschen seit Jahren daran, wie Konflikte in Gruppen entstehen“, so Halperin. Jeder für sich, mit unterschiedlichem Fokus. „In diesem Projekt haben wir nun tatsächlich die Möglichkeit zu untersuchen, wie sich verschiedene Maßnahmen optimal kombinieren lassen, um eine maximale Wirksamkeit zu erzielen.“
Interventionen mit großer Reichweite
Geplant sind acht Studien in vier verschiedenen Kontexten: Israelis und Palästinenser in Israel werden in dem Projekt ebenso befragt wie deutsche Links- und Rechtsextremisten, religiöse Muslime in westlichen und arabischen Ländern sowie pro-palästinensische und pro-israelische Studierende in den USA. Auf dieser Grundlage sollen leicht durchführbare Interventionen mit großer Reichweite entwickelt und für verschiedene Zielgruppen eingesetzt werden.
Aber wie erreiche ich diejenigen, die am meisten von einem Konflikt betroffen sind und besonders negative Einstellungen haben? „Das ist eine der schwierigsten Fragestellungen in der Sozialpsychologie“, betont Projektleiter Sevincer. „Unsere Idee ist deshalb, Videointerventionen zu entwickeln, die auf erprobtem Grundlagenwissen aufbauen, aber kurz sind, auch unterhaltsam, und sich über soziale Medien wie Instagram oder Tiktok breit streuen lassen.“ Inhaltlich werde es darum gehen, an die eigenen Grundwerte zu appellieren und einen Perspektivenwechsel anzuregen, beispielsweise über positive Beispiele von Versöhnung. „Denn eigentlich möchte fast jeder eine integre, nicht feindliche Person sein“, so Sevincer. Psychologische Interventionen, die in diese Richtung weisen, stärken das eigene Ego, fördern Kontakte zwischen Gruppen und wirken Ängsten, Gefühlen der eigenen Bedrohung, entgegen.
„Jeder von uns hat einen eigenen Blick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber ich untersuche ihn innerhalb des Kontexts selbst“, so Halperin. „Das macht es sehr, sehr schwierig, die Situation objektiv zu betrachten.“ Die vielfältigen familiären, religiösen, kulturellen und auch fachlichen Hintergründe der beteiligten Projektteams, ihren Blick von außen, schätzt er daher sehr. „Mein Ziel ist es, Maßnahmen zu entwickeln, die in unterschiedlichen Kontexten, bei verschiedenen Gruppen und in unterschiedlichen politischen Situationen wirksam eingesetzt werden können“, betont der Professor. „Programme wie die „Forschungskooperation Niedersachsen – Israel“ bieten uns die Möglichkeit, auf diesem Weg voranzukommen.“