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„Ängste ohne Vorverurteilung diskutieren“

Der Nahostkonflikt kann auch an Schulen in Deutschland polarisieren. Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann wollen Räume schaffen, um über Sachverhalte und Positionen zu sprechen.

Kim BergKim Berg, 19.01.2024
Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun hören den Jugendlichen zu, ordnen ein und stellen richtig.
Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun hören den Jugendlichen zu, ordnen ein und stellen richtig. © Achim Pohl

Seit 2020 bemühen sich die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun und der Deutsch-Israeli Shai Hoffmann gemeinsam darum, über den Nahostkonflikt mit Bildungsvideos aufzuklären. Hassoun arbeitet hauptberuflich als Sozialmanagerin und psychologische Beraterin. Außerdem unterrichtet sie als Diversity-Trainerin in verschiedenen Organisationen und leitet als Geschäftsführerin den Verein Transaidency Hoffmann ist als Sozialunternehmer, Aktivist, Speaker und Moderator tätig. Er hat bereits zahlreiche Projekte initiiert und engagiert sich als Sinnfluencer für ein inklusives Miteinander.

Nach dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas in Israel am 7. Oktober und der Gegenoffensive Israels im Gazastreifen entwickelte das Duo das Format der Trialoge an Schulen. So möchten sie mit den Schülerinnen und Schülern in einen multiperspektivischen Austausch kommen und ihnen die Möglichkeit geben, offen über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen.

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Frau Hassoun, seit einigen Jahren arbeiten Sie gemeinsam mit Shai Hoffmann daran, über den Nahostkonflikt aufzuklären. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Hassoun: Shai und ich kennen uns schon seit 2014. Damals moderierte Shai ein Berufsorientierungsprojekt an Schulen. In diesem Rahmen hat er mich zu meinem beruflichen Werdegang als „Role-Model“ [SJ1] interviewt. In den folgenden Jahren haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt. Im Jahr 2018 kam Shai auf mich zu, weil er wusste, dass ich mich intensiv mit dem Nahostkonflikt beschäftige. Damals hatte er die Idee, Bildungsvideos über Israel und Palästina zu erstellen. Seit dem Massaker am 7. Oktober bieten wir zudem Trialoge[SJ2] [BK3]  über den Nahostkonflikt an deutschen Schulen an.

Wieso haben Sie sich für Schulen entschieden?

Hassoun: Viele Menschen in Deutschland haben sehr starke Emotionen, wenn es um den Nahostkonflikt geht. Immer wenn die Situation zwischen Israel und den Palästinensern eskaliert, kommt es auch zu Gewalttaten in Deutschland, auch an Schulen. Mit unserer Arbeit möchten wir einen „Brave Space“ an Schulen schaffen, an dem wir Schülerinnen und Schülern zuhören. Sie brauchen einen Ort, an dem sie reflektiert, gelöst und ohne Benotungsdruck über den Nahostkonflikt, über Israel, über Palästina, über Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus sprechen dürfen.

Hoffmann: Mir ist es sehr wichtig, Gesprächsräume in Schulen zu schaffen, in denen wir über kontroverse Themen und Konflikte sprechen können. Denn in der Schule bilden wir die Demokratinnen und Demokraten von morgen aus. Auf der Welt gibt es so viele Krisen, die bei Schülerinnen und Schülern an tiefliegende Ängste rühren. Wenn wir keinen Raum schaffen, in dem sie diese Ängste ohne Vorverurteilung thematisieren und diskutieren können, dann mache ich mir große Sorgen um die Integrität unserer Gesellschaft.

In der Schule bilden wir die Demokratinnen und Demokraten von morgen aus.
Shai Hoffmann

Wie sieht Ihre Arbeit an den Schulen konkret aus?

Hoffmann: Wir machen verschiedene Übungen mit Schülerinnen und Schülern ab der achten Klasse. Mit Hilfe von Emotionskarten geben wir ihnen die Möglichkeit, ihre eigenen Emotionen zum Nahostkonflikt auszudrücken. Wir besprechen mit ihnen einzelne Ereignisse wie zum Beispiel den Überfall auf Israel am 7. Oktober. Wo wart ihr da? Wie nehmt ihr die Bilder wahr, die über die sozialen Medien auf der ganzen Welt verbreitet werden? Was löst das für Gefühle bei euch aus? Darüber kommen wir mit den Schülerinnen und Schülern relativ schnell ins Gespräch.

Hassoun: Wir schaffen einen Ort, an dem die Schülerinnen und Schüler ihre Bedenken und Erfahrungen mit uns teilen können. Während der Trialoge mit den Schülerinnen und Schülern dürfen sich die Lehrkräfte nicht einmischen, das ist uns sehr wichtig. Wir hören zu, ordnen das Gesagte ein und stellen Dinge richtig. In Deutschland können wir nichts an der Situation vor Ort ändern. Aber was wir ändern können, ist der Umgang mit dem Nahostkonflikt, der Umgang mit deutschen Juden und mit Palästinensern, die in Deutschland leben.

Was wir ändern können, ist der Umgang mit deutschen Juden und mit Palästinensern, die in Deutschland leben.
Jouanna Hassoun

Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Diskussion über den Nahostkonflikt seit dem 7. Oktober in Deutschland verändert?

Hassoun: Ich empfinde die Diskussion als polarisierend auf allen Ebenen. Entweder man ist pro Palästina oder pro Israel. Es geht um Antisemitismus, um Rassismus und um die Aberkennung von Identitäten. Es ist leider eine Tatsache, dass es egal ist, wie viele Fakten, wie viel Wissen und wie viel Differenzierung wir mitbringen, die Hetzer sind stärker, schneller und kriegen mehr Gehör – und das vor allem über Social Media. Deshalb müssen wir uns als Gesellschaft fragen, wie wir es schaffen, einen Diskurs anzustoßen, der besser, konstruktiver und differenzierter ist. Ich glaube, dass wir das schaffen können. Und deshalb investieren Shai und ich jede Minute unserer Zeit dafür, diesem Ziel etwas näher zu kommen.

Welche Aspekte des Nahostkonflikts werden Ihrer Meinung nach oft missverstanden. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie auf solche Missverständnisse stoßen?

Hassoun: Viele denken, dass es in dem Konflikt um zwei Länder geht. Sie wissen gar nicht, dass sich der Nahostkonflikt nur in einem Land abspielt. Die wenigstens wissen, wie die Staatsgründung Israels stattgefunden hat und dass eigentlich eine Zwei-Staaten-Lösung vorgesehen war. Es mangelt oft an Hintergrundwissen zu den Ursachen des Konfliktes. Viele wissen fast gar nichts über Palästinenser. Auch das Basiswissen zum Judentum fehlt häufig. Oft werde ich mit Vorurteilen konfrontiert, wonach Palästinenser generell Juden hassen würden oder dass Juden und Araber nicht zusammenleben können. Nur wenige Menschen wissen, dass rund 20 Prozent der israelischen Staatsbürger Palästinenser sind.

Welches Feedback erhalten Sie von den Schulen?

Hassoun: Das Feedback der Schulen ist überwältigend. Denn es gibt international kaum einen Konflikt, der so emotionalisiert wie der Nahostkonflikt. Die Lehrkräfte sind unglaublich dankbar, dass wir ihnen dieses schwierige Thema abnehmen.