Prototyp für das Bauen der Zukunft
Vision vom nachhaltigen Bauen: Architekt Christian Tschersich erklärt den Deutschen Pavillon auf der Expo 2025 in Japan.

Herr Tschersich, Sie haben als Architekt den Deutschen Pavillon auf der Expo Weltausstellung 2025 in Osaka, Japan, entworfen. Auch auf der Expo 2020 in Dubai entstand der Deutsche Pavillon aus Ihren Ideen. Was ist das für ein Gefühl, gleich zweimal so ein wichtiges Projekt federführend zu entwerfen?
Die Expos aktiv mitzugestalten, ist für mich eine Herzensangelegenheit. Ich freue mich, dass es uns gleich zweimal gelungen ist, mit unseren Ideen in einem offenen Bewerbungsverfahren zu gewinnen. Die Expo ist ein relevantes Format, gerade in diesen Zeiten, in denen immer deutlicher sichtbar wird, dass wir die wesentlichen Herausforderungen wie Klimakrise, Globalisierung und Migration nur gemeinsam lösen können. Die Expo hat sich von einer Industrie- und Leistungsschau zu einem Austauschformat zu einem bestimmten Thema entwickelt, in dem sich jedes Land positioniert und eigene, oft sehr unterschiedliche Zugänge zum Thema wählt; zugleich ist sie ein Ort, an dem Gemeinschaft erlebbar wird.
Zur Person

Christian Tschersich ist Architekt beim Netzwerk „LAVA – Laboratory for Visionary Architecture“ und betrachtet Architektur als ein Werkzeug zur Lösung funktionaler und kontextbezogener Herausforderungen. Er hat den Deutschen Pavillon auf der Expo 2025 Osaka sowie 2020 in Dubai entworfen. Zudem lehrt er am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), an der CIEE Global University in Berlin und an der Fachhochschule in Kaiserslautern.
Das Expo-Motto in diesem Jahr, „Designing Future Society for Our Lives“, soll die Menschen einladen, darüber nachzudenken, wie sie leben möchten und zu einem besseren Miteinander beitragen können. Was erwartet die Besucher im Deutschen Pavillon?
Alles im Deutschen Pavillon basiert auf dem Gedanken der Zirkularität, also dem Ziel einer „Circular Economy“ – einer Kreislaufwirtschaft ohne Müll („Zero Waste“). Das ist nicht nur ein inhaltliches Konzept, sondern auch ein gestalterisches: Die einzelnen Räume sind als zylindrische Baukörper angelegt, die sich in einer fließenden Raumfolge verbinden. Das Gebäude selbst ist ein Beispiel für zirkuläres Bauen und damit das größte Exponat. Wir haben einige Kniffe angewandt, um das Besuchserlebnis zu maximieren. So liegen beispielsweise die Büros, die Küche und die Technik in einem keilförmigen Sockelbau unter den Ausstellungsflächen. Wir haben diese Räume quasi „unter den Teppich gekehrt“. So geht kein Raum für die Besucher verloren.
Innovationen und die nachhaltige Gestaltung von Gebäuden prägen Ihre Arbeit. Wie ist das in den Deutschen Pavillon eingeflossen?
Der Pavillon ist, wenn man es so sagen will, ein Prototyp für das Bauen der Zukunft. Die Architektur des Pavillons verbindet Forschung mit Industrieprodukten. Das Stahlfundament ist ein vorfabriziertes modulares System, das im Anschluss an die Expo in anderer Form weiterverwendet werden wird. Der zylindrischen Baukörper der Ausstellung und des Restaurants bestehen aus vorfabrizierten Holzbauelementen, die später ebenfalls weiterverwendet werden können, und deren Zwischenräume man mit unterschiedlichen Materialien ausfüllen kann.
Alles im Deutschen Pavillon basiert auf dem Gedanken der Zirkularität, einer Kreislaufwirtschaft ohne Müll.
Wie bei einem Fachwerkhaus?
Genau so! Hier verschmelzen jahrhundertealte deutsche und japanische Baukultur – dafür interessiere ich mich schon seit meiner Teenagerzeit. Wir haben mit mehr als 300 Materialien aus akademischer und angewandter Forschung und Entwicklung gearbeitet und anhand unterschiedlicher Kriterien bewertet, beispielsweise Häute aus Orangenhaut, verdichtete Binsen oder alte Jeans. Letztlich haben wir uns für drei Materialien entschieden: Hanfbeton – ein Beispiel für ein neues Industrieprodukt aus Deutschland, Lehm – eine sehr alte Technik, die auch in Japan heimisch ist, und Platten aus Pilzmycel – ein sehr neues Baumaterial, das keine Ressourcen verbraucht, sondern sozusagen gezüchtet wird und komplett wiederverwertbar ist. Ich freue mich dabei besonders, dass alle Projektbeteiligten den experimentellen Charakter mitgetragen haben. Wir haben mit Universitäten, Startups und Industriepartnern im Vorfeld zusammengearbeitet – so ist der Deutsche Pavillon tatsächlich ein Querschnitt des innovativen Denkens aus Deutschland! Gleichzeitig liefern wir einen Beitrag, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) zu erreichen.
Sie haben neben dem Deutschen Pavillon auch den Pavillon von Kuwait entworfen – wie unterscheiden sich die beiden?
Die beiden Pavillons haben einen völlig eigenen Ausdruck. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit mit der Verbindung von funktionalen Anforderungen und technologischen Möglichkeiten sowie gestalterischer Absicht. Diese leitet sich dabei aus dem übergeordneten Narrativ des Beitrags zur Expo ab – die gebaute Form vermittelt die thematische Setzung und ist zugleich poetisches Raumerlebnis. In Deutschland ist das Nachhaltigkeit, doch wie kann man Kuwait präsentieren? Wir haben dann gemeinsam mit den kuwaitischen Partnern herausgearbeitet, dass Kuwait gerade aus einer Art Dornröschenschlaf erwacht und sich ehrgeizige Ziele einer Entwicklung im Sinne der SDGs bis 2035 gesetzt hat – die Vision für die Zukunft des Landes rückt die Bevölkerung in den Mittelpunkt und setzt schwerpunktmäßig auf deren ganzheitliche Entwicklung. Wir haben den Pavillon daher als „Visionary Lighthouse“ entworfen, mit Formen, die an Sanddünen und Meer erinnern und einem Seidentuch als Dach, das sich zunehmend bewegt und in der Aufwärtsbewegung zeigt, wo das Land hinwill.
Der Deutsche Pavillon trägt den Titel „Wa! Deutschland“; „Wa“ bedeutet auf Japanisch Kreis, aber auch Harmonie. Wie wird diese Harmonie ins Innere des Pavillons übersetzt?
Der Pavillon lädt das Publikum ein, einem begehbaren, spiralförmigen Weg durch eine Reihe zylindrischer Strukturen zu folgen und dabei gemeinsam über die Möglichkeiten einer Kreislaufwirtschaft nachzudenken, wenn sie das möchten. Es geht um die Lebenszyklen von Materialien, die Rolle der digitalen Technologie und die Schnittstelle von Biosphäre und Technosphäre, wo sich also Natur und Technik berühren. Die Besucherinnen und Besucher können aber auch einfach den Pavillon genießen, die gute Atmosphäre durch das Holz, die Ruhe, die von Natur und Naturmaterialien ausgeht. Ich wünsche mir, dass sie sich im Garten ausruhen und der Deutsche Pavillon zu einem Ort wird, an den sie gerne zurückkommen. Die Bäume kommen übrigens aus einer Baumschule etwa eine Stunde von Osaka entfernt, die schon in der dritten Generation von einer Familie bewirtschaftet wird, und sie gehen nach der Expo auch wieder dorthin zurück. Der Deutsche Pavillon wird durch sie quasi zu einer temporären Baumschule und damit selbst Teil eines Kreislaufs.
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Ausstellung auf der Trauminsel
Die Expo 2025 Osaka findet vom 13. April bis zum 13. Oktober 2025 in Japan auf der künstlich angelegten Insel Yumeshima („Trauminsel“) im Hafengebiet von Osaka statt. Nach Osaka 1970 und Aichi 2005 ist dies die dritte Weltausstellung in Japan. Rund 160 Länder nehmen teil und 28 Millionen Besucherinnen und Besucher werden erwartet.