„Fast ein kleines Wunder“
Beziehungen stärken, auch in Zeiten von Corona: ein aktueller Blick auf das Deutschlandjahr in Russland 2020/21.
Das Deutschlandjahr in Russland 2020/21 geht zu Ende. Inna Mantschewa, Beauftragte für die Gesamtkoordination, spricht im Interview über Höhepunkte des Jahres, regionale Schwerpunkte und Zukunftsperspektiven.
Frau Mantschewa, wie fällt Ihre Bilanz des Deutschlandjahrs in Russland 2020/21 aus?
Wir sind sehr zufrieden: 90 Prozent der Veranstaltungen, die wir ursprünglich geplant hatten, fanden trotz der Corona-Pandemie statt. Von September 2020 bis November 2021 kommen wir auf rund 500 Projekte mit zirka 1.000 Veranstaltungen. Unsere Ziele haben wir erreicht: Wir haben neue Zielgruppen erschlossen und es ist uns gelungen, digitale und hybride Formate umzusetzen, die eigentlich in Präsenz geplant waren.
Eigentlich sollte das Deutschlandjahr im Rahmen des Internationalen Kulturforums St. Petersburg offiziell am 13. November beendet werden. Das musste aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Was ist nun als Abschlussveranstaltung geplant?
Offiziell beenden wir das Deutschlandjahr wie geplant am 13. November, nun mit dem „Deutschland-Express 2.0“. Das ist ein virtuelles deutsch-russisches Festival. Am Abschlussabend gibt es eine Performance, bei der Künstler des Deutschland-Expresses und der 6. Ural Industrial Biennale of Contemporary Art zusammenarbeiten. Wir hatten die Erstauflage des Festivals bereits im Juni erfolgreich umgesetzt, das war ein buntes Programm mit Ausstellungen, Konzerten, Filmvorführungen, Lesungen und Workshops mit deutschen und russischen Kulturschaffenden. Damals war das ein Erfolg, das wird es auch jetzt wieder.
Inoffiziell geht das Deutschlandjahr sogar noch bis zum Jahresende. Was wird noch geboten?
Zum Beispiel wird am 22. November in der Moskauer Tretjakow‑Galerie die Ausstellung „Diversity United. Zeitgenössische Kunst aus Europa. Berlin. Moskau. Paris“ eröffnet. Die Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst, die derzeit in Berlin-Tempelhof zu sehen ist, wird von Kunstschaffenden aus Frankreich, Deutschland und Russland kuratiert. Das Goethe-Institut bietet dazu ein künstlerisches Rahmenprogramm. Außerdem wird das Dokumentarfilmfestival des Deutschlandjahrs „EcoDoc“, das die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ökologie in den Vordergrund stellt, Ende November auch noch in Murmansk Station machen. Anfang Dezember findet zudem die „non/fiction“-Buchmesse, eine der größten Buchmessen in Russland, in Moskau im Rahmen des Deutschlandjahrs statt. Auch das Projekt „1.000 Praktika“, bei dem deutsche Unternehmen in Russland Praktikumsplätze anbieten, läuft noch weiter.
Die Pandemie hat viele Pläne für das Deutschlandjahr durcheinandergewirbelt. Welche Formate haben profitiert, weil sie in digitaler Form angeboten wurden und deswegen mehr Menschen erreicht haben?
Wir hatten beispielsweise für das Deutschlandjahr das Format Pop-Up-Festival neu entwickelt, mit verschiedensten Formaten in den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Nachhaltigkeit und deutsche Sprache. Es fand in Kasan, Krasnodar, Wladiwostok und Kaliningrad statt und war ursprünglich nur als Präsenzfestival geplant. Zum Auftakt in Kasan mussten wir angesichts der pandemischen Lage einzelne Veranstaltungen streamen, etwa interaktive Deutschstunden oder künstlerische Performances. Das hat sich bewährt, sodass wir das Festival auch in den anderen Städten live online übertragen haben. Das hat die Reichweite des Deutschlandjahrs sehr erhöht. Ähnlich lief es mit dem Deutschland-Express. Auch dort haben wir Veranstaltungen teilweise gestreamt und auf eine hybride Form umgestellt.
Eine Besonderheit des Deutschlandjahrs war, dass viele Veranstaltungen in den Regionen stattfanden, jenseits der Metropolen Moskau und St. Petersburg. Hat sich das bewährt?
Das hat sich sehr gelohnt. Wir haben in den Regionen neue Zielgruppen erreicht, neue Partner gewonnen und die Zusammenarbeit mit alten Partnern wieder aufgefrischt. Bei Veranstaltungen etwa in Archangelsk, Krasnojarsk oder Kaliningrad hatten wir ein sehr hohes Zuschauerinteresse; die Pop-Up-Festivals waren sehr gut besucht.
Durch das Deutschlandjahr sind viele neue Kontakte und Kooperationen entstanden. Wo könnten dauerhafte Bande zwischen Deutschland und Russland entstehen?
In Nowosibirsk, Moskau und St. Petersburg war zum Beispiel die Ausstellung „Universum. Mensch. Intelligenz“ zu besichtigen, die Forschungsergebnisse der Max-Planck-Gesellschaft zu den Themen „Unser Gehirn“, „Leben im Anthropozän“ oder „Künstliche Intelligenz“ präsentierte. Durch dieses Projekt entstand eine Kooperation der Max-Planck-Gesellschaft mit einem Technologiepark in Moskau, der sich an Kinder, Jugendliche und Studierende richtet. Auch in der Wirtschaft sind durch die zahlreichen Veranstaltungen der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer neue Kontakte entstanden.
Das Deutschlandjahr steht für Dialog, Austausch und Begegnungen zwischen Deutschen und Russen, es soll Brücken bauen für die Menschen – so lautete der Anspruch. Wurden diese Erwartungen erfüllt?
Ja, trotz der Pandemie. Wir in Russland haben uns gefreut, Gäste aus Deutschland willkommen zu heißen. Nur eines von zahlreichen Beispielen: Die deutschen Künstler und Kuratoren der Ural Biennale hatten per Google Maps ausgewählt, wo sie gerne ihre Kunst ausstellen und Performances zeigen würden, dachten aber nicht, dass sie tatsächlich vor Ort in Russland sein könnten. Dass es dann wirklich klappte, war fast ein kleines Wunder. Das hat alle gefreut und ermuntert, Deutsche wie Russen.