DE-Interview mit Marica Bodrožić
Ein Interview mit der in Berlin lebenden Literaturpreisträgerin der Europäischen Union, Marica Bodrožić.

Marica Bodrožić wurde 1973 in der Nähe von Split in Kroatien geboren. Im Alter von zehn Jahren kam sie nach Deutschland, wo sie die deutsche Sprache erlernte, die ihr zur „zweiten Muttersprache“ wurde. 2013 erhielt sie den Literaturpreis der Europäischen Union für ihren Roman „Kirschholz und alte Gefühle“.
Sie stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus der Region Dalmatien. Wie spielt das in Ihr Leben hinein?
In Dalmatien bin ich immer noch sehr gerne, dort lebt meine Mutter, dort leben viele Verwandte. Das ist aber kein Sehnsuchtsraum, sondern etwas, was in meinem Alltag präsent ist. Für mich gibt es multiple Heimaten – überall, wo meine Freunde sind, ist auch etwas von mir, sei es in Amerika, Deutschland oder Kroatien. Bei allen Schwierigkeiten und trotz des Krieges gibt es etwas, was ich vom ehemaligen Jugoslawien gelernt habe: keine nationale Identität zu haben. Die Mehrsprachigkeit und das Multikulturelle waren für mich immer schon da. Das ist so etwas wie ein natürlicher Zustand.
Heute leben Sie in Berlin, wie die Protagonistinnen Ihrer jüngsten Romane, Nadeshda und Arjetta. Die beiden fühlen sich dort sehr wohl und Sie anscheinend auch. Woran liegt das?
Berlin hat etwas Nicht-Ideologisches, es ist nicht zu Ende definiert. Paris ist auch wundervoll, aber Paris ist zu Ende gedacht. Berlin ist eine Stadt, die sich immer wieder bewegt. Außerdem ist es für mich angenehm, dass mich dort viele Sprachen umflirren. Ich höre hier Französisch, dort Italienisch, dann wieder Türkisch und natürlich Deutsch. Das ähnelt dem natürlichen Zustand, den ich beschrieben habe. Da fühle ich mich sehr zu Hause. Ich lebe seit über zehn Jahren hier und werde bleiben.
Sie beschäftigen sich intensiv mit der Macht der Erinnerung. Warum ist dieses Thema für Sie so zentral geworden?
Das hängt zusammen mit dem Prozess, Schriftstellerin zu werden – das wollte ich ursprünglich gar nicht. Es hängt auch zusammen mit einem konkreten Lebensmoment. Ich wollte die Erinnerung an meinen gestorbenen Großvater bewahren, an sein Gesicht, an die Art, wie er geschaut hat, wenn er die Glocken läutete oder für uns kochte. Als ich in Frankfurt studierte, habe ich mich stark mit wissenschaftlichen Texten beschäftigt. In der Kollision mit dieser wissenschaftlichen Sprache passierte etwas in meinem Inneren, es kam dieses erste Bild der Liebe auf und das war der Großvater. Seither hat mich die Frage fasziniert, wo die Erinnerung beginnt und wer sie eigentlich macht. Wie funktioniert sie, wovon hängt sie ab? In meinem Fall ist das immer mit der Sprache verbunden gewesen.