Starke Stimmen
Die Frankfurter Buchmesse stellt tausende Autoren vor. Diese drei jungen deutschsprachigen Erzähler solltet ihr kennenlernen.
Deutschland. Nicht alles, was neu ist, ist gut. Und das, was man als „junge Literatur“ bezeichnet, sieht womöglich in wenigen Jahren schon sehr alt aus. Wir wagen es trotzdem und stellen drei junge deutschsprachige Autorinnen und Autoren vor, die so erfrischend und kraftvoll erzählen, so nah an der Wirklichkeit oder so surreal-phantastisch, dass wir von ihnen sicher auch in den nächsten Jahren noch viel lesen werden.
Sasha Marianna Salzmann
Wer ist das?
Die 1985 im damals noch sowjetischen Wolgograd geborene Sasha Marianna Salzmann hat sich vor allem als Dramatiker einen Namen gemacht. Salzmann wanderte 1995 mit ihren Eltern nach Deutschland aus, studierte Literatur, Theater und Szenisches Schreiben. Sie arbeitete als Redakteurin und Dramaturgin. „Die Welt“ schrieb 2016: „Das Maxim-Gorki-Theater ist das ,Theater des Jahres‘. Das liegt auch an Sasha Marianna Salzmann, die dort die spannendste Experimentierbühne Deutschlands leitet: das Studio Я“.
Worum geht es?
Sasha Marianna Salzmann Romandebüt „Außer sich“ spielt mit autobiographischen Elementen. Die Hauptfigur Alissa, genannt Ali, kommt als Mädchen von Russland nach Berlin. Sie hat einen Zwillingsbruder, der verschwunden ist. Die Suche führt nach Istanbul und gleichzeitig erzählerisch quer durch das wüste 20. Jahrhundert und zurück in die Sowjetunion bis in die Stalinzeit. Das Buch ist ein Panorama, aber vor allem ein erzählerischer Ritt durch die Stilebenen. Es ist voller Geschichten, wild, ja gewalttätig und anarchisch. Nominiert für den deutschen Buchpreis 2017.
Warum sollten wir uns den Namen Sasha Marianna Salzmann merken?
2016 erklärte die Theaterzeitschrift „Die Deutsche Bühne“ Salzmann zum Kopf der Saison: „Salzmann ist mit ihrem sensiblen Blick auf eine brutale Gegenwart und ihren biographischen Blicken zurück vielleicht die deutschsprachige Theaterautorin der Stunde.“ Und mit ihrem Roman „Außer sich“ zeigt sie, dass sie die Sprachkraft ihrer Dialoge und Schilderungen auch in epischer Länge umsetzen kann. Eine Doppelbegabung, die selten ist.
Robert Prosse
Wer ist das?
Der Österreicher wurde 1983 in Tirol geboren. Robert Prosser studierte Komparatistik, Kultur- und Sozialanthropologie. Er ist Mitbegründer der Innsbrucker Lesebühne und tritt seit Jahren mit seinen Texten bei Performances auf. Im August 2017 wurde sein Romandebüt „Phantome“ für den Deutschen Buchpreis nominiert, der Roman schaffte es im Oktober 2017 auf die ORF-Bestenliste.
Worum geht es?
Robert Prosser ist ganz entschieden Realist. Keine Sprachspiele, keine Mätzchen. Vor allem aber keine selbstbezogene Befragung, ob Romane die Wirklichkeit erfassen können. Prosser wagt sich an ein düsteres Kapitel der der jüngeren Geschichte. Er erzählt die Geschichte der jungen Bosnierin Sara, die auf den Spuren ihrer Mutter nach Bosnien-Herzegowina reist und die Ereignisse des jugoslawischen Bürgerkriegs zu Beginn der 1990er-Jahre rekonstruiert. Der Roman ist dezidiert aber kein Panorama, sondern erzählt, was der Krieg mit dem Individuum macht, was die Gewalt aus Familien macht. Und wie Krieg und Gewalt, selbst wenn sie längst überwunden scheinen, fortwirken.
Warum sollten wir uns den Namen Robert Prosser merken?
Prossers Spurensuche, die in Teilen durchaus Reporttageelemente enthält, holt den Jugoslawienkrieg ganz dicht an die Gegenwart heran. Er beweist, dass man zeitgemäß und modern erzählen, dabei aber trotzdem lesbar bleiben kann. Prosser vertraut auf eine durchaus traditionelle Weise auf Figuren, die als Erzählanker, womöglich sogar als Identifikationsfiguren ein Geschehen nahebringen, das man sich nur allzu gerne vom Leib hielte. Ein politischer Autor im besten Sinne.
Maren Wurster
Wer ist das?
Maren Wurster, 1976 geboren, lebt in Berlin. Sie studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Philosophie in Köln. 2016 schloss sie ihr Master-Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig ab.
Worum geht es?
„Die Verwandlung der Heldin in Maren Wursters Debüt ,Das Fell‘ hat mit Kafka nichts zu tun!“, schrieb ein Rezensent geradezu flehentlich über Maren Wursters Roman. Und doch muss man den Hut ziehen vor einer Autorin, die sich traut, eine Geschichte zu schreiben, in der eine Frau sich peu à peu verwandelt. Gerade weil jeder bei diesem Thema immer an den Prager Giganten und die Geschichte von Gregor Samsa denken muss. Das Fell wächst Vic, die in Berlin lebt, während ihrer Wanderung an die Ostsee, wo ihr Geliebter mit seiner Familie die Sommerferien verbringt. Die Geschichte wird ganz realistisch erzählt, das Surreal-Phantastische kommt auf leisen Sohlen unaufdringlich daher. Das Fell als Symbol bleibt eine geheimnisvolle Leerstelle des Romans, der vieldeutig bleibt und seine Rätsel nicht löst.
Warum sollten wir uns den Namen Maren Wurster merken?
Die Unbekümmertheit, ja fast schon Chuzpe, mit der Wurster das Motiv der Verwandlung benutzt, verdient höchste Beachtung. Außerdem beherrscht sie einen so leise-magischen Ton, der oft verhindert, dass man das Ungeheuerliche, von dem sie schreibt, sofort erkennt.
Internationale Frankfurter Buchmesse vom 10. bis 14. Oktober 2018.