„Ausstellungen, Konzerte, Bücher – gerade jetzt!“
Kateryna Rietz-Rakul, Leiterin des neuen Ukrainischen Instituts in Berlin, über kulturellen Austausch in Kriegszeiten und ihre Arbeit in Deutschland.
Ein Haus für die ukrainische Kultur in Deutschland: Das Ukrainische Institut will die Kultur des Landes international fördern. 2017 wurde auf Beschluss des ukrainischen Ministerkabinetts die Zentrale in Kyjiw eröffnet – und Ende März 2023 die erste Auslandsrepräsentanz in Berlin. Die Kulturmanagerin, Übersetzerin und Autorin Kateryna Rietz-Rakul leitet sie.
Frau Rietz-Rakul, wie geht es Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine derzeit, mitten im Krieg?
Familienangehörige einiger unserer Kolleginnen und Kollegen in Kyjiw sind an der Front. So geht es vielen in Kunst und Wissenschaft, und trotzdem machen die Leute weiter. Sie arbeiten online, was schon in der Pandemie gut geklappt hat. Anfangs eilten alle bei Luftangriffen in den Keller. Mittlerweile haben sie damit schon Erfahrung, und es gibt Apps, die über die Hintergründe informieren: Wenn Raketen vom Kaspischen Meer kommen, fliegen sie eine Stunde bis nach Kyjiw. Dann wissen die Leute: Wir können noch mindestens 40 Minuten weitermachen. Wenn die russischen Raketen laut App in der Nähe einschlagen, gehen sie gleich in den Keller. In dieser angespannten Situation sehnen sich die Menschen nach Kultur, und zwar sowohl die Künstlerinnen und Künstler als auch das Publikum. Sie wollen Ausstellungen, Diskussionen, Konzerte – gerade jetzt!
Ihre Auslandsrepräsentanz wird vom Goethe-Institut und den von George Soros gegründeten Open Society Foundations unterstützt. Derzeit haben Sie und Ihre drei Mitarbeiterinnen Ihre Büros im Berliner Kulturhaus ACUD. Worin sehen Sie Ihre Aufgaben?
Wir wollen darstellen, dass die Ukraine, ihre Kultur, ihre Sprache eigenständig sind und nicht Teil Russlands, wie es die russische Propaganda weismachen will. Die Nachfrage in Deutschland ist groß: Wir gestalten Begleitprogramme zu Ausstellungen im Albertinum in Dresden und im Museum Ludwig in Köln. Da gibt es Musik, Filme, Videokunst, Gespräche mit Künstlern, Diskussionsrunden. Das alles ist sehr gut recherchiert und bietet dem Publikum viele Erklärungen. Außerdem haben wir uns am Berliner Theatertreffen beteiligt und wirken dieses Jahr noch beim Darmstädter Jazzforum, der Frankfurter Buchmesse und vielen anderen Veranstaltungen mit.
Welche auf Deutsch erschienenen Romane ukrainischer Autorinnen und Autoren würden Sie dem deutschen Publikum besonders empfehlen?
„Der Papierjunge“ von Sofia Andruchowytsch, dessen Handlung um 1900 in Galizien spielt. Auch „Blauwal der Erinnerung“ von Tanja Maljartschuk über den ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyj und „Internat“ von Serhij Zhadan, in dem es auch um den Krieg in den Regionen Donezk und Luhansk geht. Die Kunst spiegelt unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart, unsere Zukunft – ein Lebenselixier.
Die deutsche Wehrmacht hat im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine unzählige Menschen ermordet. Was sagen Ihre Landsleute dazu, dass Sie Ihre erste Auslandsrepräsentanz ausgerechnet in Berlin aufbauen?
Deutschland arbeitet seine Vergangenheit auf – im Gegensatz zu Russland, wo kaum etwas an die Opfer des Stalinismus erinnert. Deutschland ist heute kein Feind, sondern unser Schlüsselpartner. Das betrifft unsere angestrebte Integration in die Europäischen Union, jedoch auch die militärische Unterstützung und den künftigen Wiederaufbau. In der EU passiert ohne Deutschland nichts. Anders als in Polen und den baltischen Staaten besteht hier allerdings Erklärungsnot: Die Ukraine wird von vielen Deutschen als Teil Russlands wahrgenommen. Man muss ihnen auch Russland neu erklären, damit sie sehen, was es ist: ein imperialer Staat, der viele Kriege führt, nicht nur gegen die Ukraine. Das Ukrainische Institut hat übrigens einmal eine Studie über ukrainische Geschichte des 20. Jahrhunderts in deutschen Geschichtsbüchern herausgegeben. Fazit: Sie ist fast nicht präsent.
In Deutschland gibt es dafür viele Denkmäler, die an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg erinnern. Wie nehmen Sie das wahr?
Vieles an diesen Denkmälern erscheint mir einseitig, ja: historisch falsch. Da ist die Rede vom Kriegsbeginn am 22. Juni 1941, als Hitler die Sowjetunion überfiel. Der Zweite Weltkrieg begann aber schon 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen, das im Osten kurz darauf von der Sowjetunion besetzt wurde. Bis 1941 war Stalin ein Verbündeter Hitlers. Mir ist klar, dass Deutschland durch Verträge dazu angehalten ist, diese Denkmäler zu erhalten. Doch die Museumspädagogik kennt heute Wege, solche Daten zu kommentieren und auch die Rolle der Ukrainer und anderer osteuropäischer Völker klarzustellen, die unter Stalins Regime litten.
Gibt es schon Pläne für die nächste Auslandsrepräsentanz des Ukrainischen Instituts?
Ja. Noch in diesem Jahr soll eine Außenstelle in Paris eingerichtet werden. Aber das ist eine große Herausforderung. Das Ukrainische Institut in Kyjiw wird von unserem Außenministerium mitfinanziert. In der Zeit, in der aber das ukrainische Geld vor allem fürs Überleben und den Schutz von Kulturgütern im Land ausgegeben wird, brauchen wir für unsere Projekte im Ausland Verbündete und Unterstützung.