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„Frauen müssen anspruchsvoller werden“

Sie ist das Gesicht des deutschen Feminismus: Alice Schwarzer. Im Interview spricht sie über Gleichberechtigung, Corona und Instagram.

Kim Berg, 03.12.2020
Alice Schwarzer, Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin
Alice Schwarzer, Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin © picture alliance / Henning Kaiser/dpa

Frau Schwarzer, wo steht Deutschland heute in Sachen Emanzipation?
Es ist schon sehr viel passiert in den vergangenen Jahrzehnten. Die jüngeren Generationen stehen ganz anders da als wir vor 40 Jahren. Aber im Vergleich mit anderen westlichen Demokratien gibt es in einigen Punkten durchaus noch Nachholbedarf in Deutschland – zum Beispiel beim Gender Pay Gap.

Hat die Corona-Krise und die damit verbundene Schließung der Schulen und Kindergärten, haben Kurzarbeit und Homeoffice wieder zurück zu einer traditionelleren Rollenverteilung geführt?
In einzelnen Fällen haben sicherlich auch Männer mehr im Haushalt geholfen oder die Erziehung übernommen. Aber nicht immer. „Emma“ hat festgestellt, dass die Hausarbeit und Kinderbetreuung während der Corona-Krise plötzlich vor allem an den Frauen hängen geblieben ist. Gerade bei jüngeren, etwas privilegierteren Paaren, wo beide berufstätig sind. Wir haben herausgefunden, dass sich die Anträge auf Scheidung durch die Corona-Krise verfünffacht haben. Prozentual die meisten gibt es in Heinsberg, dem Epizentrum der Pandemie.

Kann man die Krise auch als Chance sehen, um mehr Gleichberechtigung zu erzielen?
Ich denke, dass man die Krise als Chance für eine allgemeine Besinnung sehen kann. Müssen wir zurück zu alten Gewohnheiten? Brauchen wir das permanente Shopping? Ich würde mir wünschen, dass die Reduzierung auf Äußerlichkeiten, beflügelt durch soziale Medien wie Instagram, sich nach der Krise relativieren. Denn meine Generation und auch die danach haben tapfer dafür gekämpft, dass Frauen nicht nur einen Körper, sondern auch noch einen Kopf haben dürfen. Und es wäre schön, wenn wir diesen Kopf nicht wieder verlieren.

Wie hat sich weibliche Rolle dadurch gewandelt, dass immer mehr Frauen berufstätig sind?
In Deutschland, dem Land, das den Begriff „Rabenmutter“ geprägt hat für Frauen, die sich angeblich nicht genug um ihre hausfraulichen Pflichten kümmern, haben wir die höchste Teilzeitquote bei den berufstätigen Frauen. Die überwältigende Mehrheit der berufstätigen Frauen ist immer noch damit beschäftigt, den Beruf mit der Familie zu vereinbaren. Wir haben immer noch nicht genug Ganztagskrippen und Ganztagsschulen. Deshalb verwenden Frauen immer noch sehr viel Zeit darauf, alles unter einen Hut zu packen. Wenn es genauso viele Väter gäbe, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, wären wir schon einen Schritt weiter.
 

1977 gründete Alice Schwarzer das frauenpolitische Magazin „Emma“.
1977 gründete Alice Schwarzer das frauenpolitische
Magazin „Emma“.   
© picture alliance / EMMA/dpa
 

Wo müssen Frauen ansetzen, um mehr Gleichberechtigung zu erlangen?
Frauen müssen anspruchsvoller werden. Sie müssen ihre Rechte einklagen. Politik und Gesellschaft können zu Strukturen beitragen, die die Kleinfamilie wieder mehr öffnen, sodass nicht nur die Eltern ein Kind erziehen, sondern meinetwegen ein ganzes Haus oder ein ganzes Viertel. Ein ganzes Dorf, wie man in Afrika sagt. Es wäre gut, wenn es jetzt mehr Druck auf Politik, Wirtschaft und die Gewerkschaften gäbe. Ich bin zum Beispiel eine Vertreterin der drei-Tage-Woche für Eltern von noch nicht schulpflichtigen Kindern. So könnten sich Mütter und Väter die Arbeit gerechter aufteilen.

© www.deutschland.de

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