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Wunder des Wandels

Israel feiert den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung. Zum Jubiläum blicken sieben engagierte Persönlichkeiten auf den Austausch zwischen Deutschland und Israel. 

11.05.2018
Feier zum 70. Jahrestag der Unabhängigkeit Israels in Berlin.
Feier zum 70. Jahrestag der Unabhängigkeit Israels in Berlin. © dpa

Es war ein Tag der Freude nach der Katastrophe des Holocausts und der Heimatlosigkeit vieler Juden nach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten: Am 14. Mai 1948 verlas Ben Gurion die Unabhängigkeitserklärung Israels in Tel Aviv und proklamierte die Gründung des Staates Israel. Exklusiv für deutschland.de beschreiben sieben im deutsch-israelischen Austausch aktive Deutsche und Israelis, wie sie zum Jahrestag der Staatsgründung auf die Beziehungen der beiden Länder blicken.

Tal Alon: Zeichen der Hoffnung

Tal Alon, Gründerin und Chefredakteurin des SPITZ Magazins – das hebräische Magazin für in Berlin lebende Israelis.
Tal Alon, Gründerin und Chefredakteurin des SPITZ Magazins – das hebräische Magazin für in Berlin lebende Israelis. © Heike Steinweg/heikesteinweg.de

„Meine Beschäftigung mit den deutsch-israelischen Beziehungen begann im Sommer 2009, als ich mit meinem Mann Olaf Kühnemann und unseren beiden Söhnen nach Berlin zog. Sie intensivierte sich, nachdem ich SPITZ gegründet hatte, das erste hebräische Magazin in Deutschland seit dem Holocaust. Das ist der schlichte Hintergrund. Aber die Geschichte hat noch tiefere Wurzeln, denn mein Familienname ist die Übersetzung des deutschen Namens „Eichenholz“ ins Hebräische. Und mein Mann, dessen Eltern beide nichtjüdische Deutsche sind, wuchs wegen des späteren israelischen Partners seiner Mutter in Israel auf. Jedenfalls sind die deutsch-israelischen Beziehungen inzwischen eng mit meiner Biografie verflochten. Ihr Wert bemisst sich für mich in erster Linie an der ungeheuren persönlichen Bedeutung, die sie für mein eigenes Leben haben. Ich sehe das deutsch-israelische Verhältnis als Zeichen der Hoffnung und des Optimismus für die menschliche Fähigkeit zu einem grundsätzlichen und vielversprechenden Wandel, selbst vom düstersten vorstellbaren Tiefpunkt aus. Weil es so ein inspirierendes Vorbild ist, sollte dieses Verhältnis geschätzt und gepflegt werden. Das muss jedoch bedeuten, dass man sich nicht nur bemüht den Status Quo zu erhalten oder immer wieder dieselben Muster wiederholt, sondern eine dynamische, offene und bewusste Beziehung anstrebt.“

Lesen Sie hier mehr über das Spitz-Magazin

Kerstin Griese: Vergessen verhindern, Begegnung ermöglichen

Kerstin Griese, Politikerin (SPD), seit 2018 Parlamentarische Staatssekretärin für Arbeit und Soziales, zuvor unter anderem stellvertretende Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe.
Kerstin Griese, Politikerin (SPD), seit 2018 Parlamentarische Staatssekretärin für Arbeit und Soziales, zuvor unter anderem stellvertretende Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. © Haedecke

„Als junge Frau war ich in der evangelischen Jugendarbeit aktiv. Mein politisches Denken wurde geprägt, als ich mit meiner Gruppe die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besuchte. Ich habe daraufhin Geschichte studiert und 13 Jahre in einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus gearbeitet. Mit Stolz erfüllt mich, dass ich als Juso-Mitglied vor 22 Jahren das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem, ein bis heute so wichtiges deutsch-israelisch-palästinensisches Begegnungszentrum für junge Menschen, mitbegründen konnte. Deutsch-israelische Beziehungen zu stärken und zu pflegen, bedeutet für mich, sich immer der Geschichte und der daraus erwachsenen Verantwortung bewusst zu sein, Vergessen zu verhindern, Antisemitismus konsequent zu bekämpfen. Es gibt heute eine junge Generation, die sich zum Beispiel im deutsch-israelischen Jugendaustausch trifft und auch über aktuelle Themen, Kultur oder Wissenschaft miteinander ins Gespräch kommt. Das ist das Schöne an dieser so lebendigen Beziehung.“

Christine Mähler: Jugend schafft Annäherung 

Christine Mähler, Leiterin des Koordinierungszentrums Deutsch-Israelischer Jugendaustausch ConAct mit Sitz in Lutherstadt Wittenberg.
Christine Mähler, Leiterin des Koordinierungszentrums Deutsch-Israelischer Jugendaustausch ConAct mit Sitz in Lutherstadt Wittenberg.

„Ich bin ein Kind des deutsch-israelischen Jugendaustauschs und engagiere mich heute für den Austausch der jungen Generationen. Junge Menschen haben schon vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen erste vorsichtige Annährung ermöglicht und tun es noch. Zwischen Unsicherheit und Vorbehalten hat Jugend immer Brücken gebaut. Heute werden aus Bundesmitteln im außerschulischen deutsch-israelischen Jugendaustausch etwa 300 Programme pro Jahr gefördert. Zählt man den Schüleraustausch und die Freiwilligendienste dazu, besuchen sich rund 10.000 junge Menschen im Jahr. Sie stellen einander Fragen, die durch Geschichte geprägt sind: ‚Wer bist du und wer bin ich im heutigen Leben? Welche Beziehung hast du und deine Familie zu dieser Geschichte? Wie siehst du deine Gesellschaft heute und was hat das mit damals zu tun?’ Die deutsch-israelischen Beziehungen sind für mich die Summe von hunderttausenden kleinen Begegnungen, die es über die Jahrzehnte gegeben hat. Und ich wünsche Israel, dass es über viele kleine Annäherungen eines Tages auch mit wohlgesonnenen Nachbarn und offenen Grenzen leben wird.“

Lesen Sie hier mehr über die Arbeit von ConAct.

Hellmut Königshaus. Informieren und aufklären

Hellmut Königshaus. Jurist und Politiker (FDP), langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestags, seit 2015 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG).
Hellmut Königshaus. Jurist und Politiker (FDP), langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestags, seit 2015 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). © privat

„In den ersten israelischen Pässen gab es nach der Staatsgründung den Stempel: ‚Gilt für alle Länder außer Deutschland‘. Man wollte in Israel nach der Shoah auf gar keinen Fall Kontakte. Heute gehört unser Land zu den engsten Freunden Israels. Die israelische Botschaft in Berlin ist weltweit die zweitgrößte nach der in den USA. Nach 70 Jahren ist die Situation also völlig verändert. Trotzdem fehlt hier vielfach Wissen und Verständnis für die besondere Lage Israels in einem vorwiegend feindlichen Umfeld. Daher gilt es heute mehr denn je über Israel und seine Sicherheitslage zu informieren, Bewusstsein zu schaffen und aufzuklären. Ausgerechnet in deutschen Schulbüchern finden wir zum Teil empörende und schockierende, weil unsachliche und latent antisemitische Bewertungen der Situation in und um Israel. Die DIG bemüht sich, dies zu korrigieren. So hat sie bespielweise eine Aufklärungsbroschüre herausgegeben und mit der Kultusministerkonferenz (KMK) intensive Gespräche geführt. Nicht zuletzt angesichts von israelfeindlich geprägten Zuwanderern nach Deutschland bleiben für uns Information und Aufklärung gerade der Jugend ganz wichtige Aufgaben.“

Mehr zum Thema Antisemitismus und welche Zeichen Deutschland dagegen setzt.

Claudia Korenke: Partner seit Generationen: Städte, Familien, Menschen

Claudia Korenke, Vorsitzende der DIG-Arbeitsgemeinschaft Frankfurt am Main.
Claudia Korenke, Vorsitzende der DIG-Arbeitsgemeinschaft Frankfurt am Main. © Salome Rössler

„Die deutsch-israelische Partnerschaft ist für mich eine Familienangelegenheit. Mein Vater war Präsident des Frankfurter Stadtparlaments und brachte mit dem Oberbürgermeister 1980 die Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt am Main und Tel Aviv auf den Weg. Mit meinem Vater war ich oft in Israel, habe Hebräisch gelernt und gestalte seit 18 Jahren als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft auch die Städtepartnerschaft. Die Entwicklung von den Anfängen bis heute ist überwältigend. Tel Aviv ist für die heutige Generation die Stadt, die nie schläft; mit dem schönsten Stadtstrand der Welt. Im Rahmen der Städtepartnerschaft zeigen wir zum Jubiläum israelische Filme, halten Seminare, laden Historiker, Wirtschaftswissenschaftler, Rabbiner ein, um Israel unter verschiedenen Aspekten vorzustellen. Für unsere Geburtstagsessen mit israelisch inspirierter Küche sind die Wartelisten endlos lang. Das Interesse an israelischer Kultur ist so groß! Zum Jubiläum wünsche ich dem Land von Herzen Frieden in unstrittigen Grenzen.“

www.deutsch-israelische-gesellschaft.de, www.dig-frankfurt.de

Andreas Schmitges: Musiker sind neugierig

Andreas Schmitges, Musiker und Kulturmanager, Initiator der Caravan Orchestra, ein Projekt des Yiddish Summer Weimar.
Andreas Schmitges, Musiker und Kulturmanager, Initiator der Caravan Orchestra, ein Projekt des Yiddish Summer Weimar. © privat

„Als Musiker beschäftige ich mich seit rund 20 Jahren mit osteuropäisch-jüdischer Musik, also einer europäischen Diasporakultur. Der Yiddish Summer Weimar hat sich 2017 inhaltlich zum ersten Mal mit Israel und der Frage beschäftigt, welche anderen Diasporakulturen es dort gibt – irakisch-jüdische, jemenitisch-jüdische, marokkanisch-jüdische, sephardische, arabische Traditionen und viele mehr! Aus der Kooperation des Yiddish Summer Weimar mit dem Arab-Jewish-Orchestra der Abteilung für Musik der Universität Haifa entstand das 30 Mitglieder starke Caravan Orchestra, das jetzt arabische und jiddische Musik spielt. Musiker und Musikerinnen sind neugierig auf Klänge, die zunächst fremd sind. Sie gehen auf Fremdes zu, weil sie es als etwas Gutes und Interessantes, Spannendes und Erlernbares erfahren. Deswegen haben Musiker eine wichtige Vermittlerfunktion: Sie können die Neugier auf Fremdes auf ihr Publikum übertragen. Ich wünsche mir zum Jahrestag, dass es noch viele ähnliche Projekte wie unsere geben wird und dass wir die kulturelle musikalische Vielfalt Israels weiter erforschen können. Nichts ist spannender als der Umgang der Kulturen miteinander – und Israel hat darin 70 Jahre Erfahrung. Die Europäer können daraus noch sehr viel lernen.“

www.yiddishsummer.euwww.caravanorchestra.eu

Michal Zamir: Das Glück einer ganz alltäglichen Begegnung

Michal Zamir, Gründerin der Hebräischen Bücherei Berlin.
Michal Zamir, Gründerin der Hebräischen Bücherei Berlin. © Lukas Muehlethaler

„Tausende Israelis leben heute in Berlin. Ich bin eine von ihnen. Mir fehlte hier der Zugang zu hebräischer Literatur, eine hebräische Bibliothek. Also habe ich eine gegründet – in meinem eigenen Wohnzimmer. Sie lebt von Schenkungen aus Deutschland und Israel und umfasst inzwischen mehrere tausend Bücher. Jeden Monat kommen Künstler, Autoren, Studierende und Musiker, Neuankömmlinge in der Stadt und Kinder zu mir nach Hause, um Bücher zu tauschen oder zu leihen. Jeder, der sich für hebräische Literatur interessiert, kann kommen. Berlin ist so voll mit vielfältigem Leben. Auch jüdische und israelische Kultur ist im Berliner Alltag in vieler Hinsicht präsent – nun auch mit meiner Bibliothek. Ich wünsche mir, dass bei Kaffee und Kuchen die hebräische Kultur in ein Zwiegespräch mit der deutschen Öffentlichkeit treten kann und dass dieses Zusammentreffen eine ganz alltägliche deutsch-israelische Begegnung ist.“

Mehr über die Hebräische Bücherei Berlin.

Protokolle: Bettina Mittelstraß

© www.deutschland.de