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Erzählen gegen das Trauma in Kambodscha

In dem Projekt „Virtual Memorial“ gibt der deutsche Journalist Nicolaus Mesterharm Opfern des Regimes der Roten Khmer eine Stimme.

Martin Petersen, 03.03.2023
Der Filmemacher Nicolaus Mesterharm.
Der Filmemacher Nicolaus Mesterharm. © Thomas Cristofoletti / Ruom

1975 endete der Bürgerkrieg in Kambodscha – und doch leiden die Menschen auch heute noch unter den Folgen. Auf den Bürgerkrieg folgte das Terrorregime der Roten Khmer, dem zwischen 1,4 und 2,2 Millionen Menschen der rund 8 Millionen zählenden Bevölkerung zum Opfer fielen. Die Hälfte der Opfer wurde ermordet, andere starben an Hunger, Entbehrungen oder bei der Zwangsarbeit. 1979 wurden die Roten Khmer von vietnamesischen Truppen vertrieben, aber bis 1998 führte sie aus dem Untergrund einen Terrorkrieg gegen die Bevölkerung und die neue Regierung. Erst Ende 1998 kapitulierten die letzten Kampfverbände. Die Schreckensherrschaft des damaligen Regimes hat die Bevölkerung traumatisiert hinterlassen.

Den Opfern des Terrorregimes eine Stimme geben, das ist das Anliegen des deutschen Journalisten Nicolaus Mesterharm. Im Jahr 2000 reiste er zum ersten Mal in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh. Zwei Jahre zuvor hatten sich die letzten Roten Khmer ergeben und ihr Anführer Pol Pot war gestorben. „Es war, als ob die Menschen das erste Mal richtig durchatmeten“, erinnert sich der 53-Jährige. „Jeder hat dich angelächelt, die Leute wollten mit dir reden.“ Mesterharm produzierte damals eine Fernsehdokumentation über die bedrückende HIV-Epidemie im Land, lernte die Kultur und die Menschen schätzen und ließ sich fünf Jahre später dauerhaft in der Stadt nieder.

Viele der Betroffenen haben ein Bedürfnis, über das Erlebte zu sprechen.
Nicolaus Mesterharm, Filmemacher

Heute leitet der Journalist und Filmemacher das deutsch-kambodschanische Kulturzentrum Meta House. Mesterharm hat sich der Aufarbeitung der Rote-Khmer-Zeit zugewandt; das Reden und vor allem das Zuhören sind nach wie vor wichtige Teile seiner Arbeit. Mit dem Projekt „Virtual Memorial“ ermöglichen er und sein Team Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, vor der Kamera Zeugnis für die Nachwelt abzulegen. Viele der Betroffenen hätten ein Bedürfnis, über das Erlebte zu sprechen. „Die Opfer erzählen der Jugend ihre eigene Geschichte“, sagt Mesterharm und betont, dass die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner nicht überredet oder bezahlt werden. „Je mehr sie reden, desto weniger Konsequenzen ihres Traumas erleben sie.“

Opfer der Rote-Khmer-Zeit berichten

In dem Projekt soll eine virtuelle Erinnerungsplattform entstehen, die zur Aufarbeitung der Rote-Khmer-Geschichte beiträgt und vor allem Jugendliche anspricht. Daneben erhalten die Zeitzeugen eine Plattform, ihre Geschichten zu erzählen. „Virtual Memorial“ wird unterstützt vom deutschen Förderprogramm zivik aus finanziellen Mitteln des Auswärtigen Amts. Zivik hilft zivilen Akteuren weltweit dabei, Krisen vorzubeugen, Konflikte zu überwinden und friedliche gesellschaftliche und politische Systeme zu schaffen sowie diese zu stabilisieren.

Filmarbeiten zu „Virtual Memorial“ in Kambodscha.
Filmarbeiten zu „Virtual Memorial“ in Kambodscha. © Thomas Cristofoletti / Ruom

„Am Anfang war ich erschrocken, wie wenig sich viele junge Menschen in Kambodscha für die Zeit der Roten Khmer interessierten“, sagt Mesterharm. Ein Antrieb für seine Arbeit liegt in seiner eigenen bewegten Familiengeschichte. Seine jüdischen Großeltern mütterlicherseits wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Der Ehemann der Frau, die später seine Mutter adoptierte, hatte seine Großeltern verraten. Mesterharm möchte verstehen, wie es dazu kommen kann, dass Menschen anderen Menschen Grausames antun. „Vor allem stellt sich mir die Frage: Was hätte ich getan, wenn ich dabei gewesen wäre?“ Dass sich Geschichte nicht wiederholt, ist für ihn das wichtigste Ziel seiner Arbeit.

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Deutsch-kambodschanisches Kulturzentrum

Kurz nachdem Mesterharm sich in Kambodscha niedergelassen hatte, bezogen er und seine kambodschanische Frau ein Haus mit einem großen Raum im Erdgeschoss und einer schönen Dachterrasse. „Wir kamen auf die Idee, eine Art Berliner Salon daraus zu machen, unten Kunstausstellungen zu zeigen und oben Filme.“ Was 2005 unter Freunden begann, ist heute immer noch Programm. Das Meta House ist inzwischen umgezogen und als Goethe-Zentrum Partner des Goethe-Instituts. Die Dynamik und Lebendigkeit des Kulturzentrums, der Austausch mit den jungen Stadtmenschen sind Mesterharm willkommener Ausgleich zur Erinnerungsarbeit.

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