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Die wunderbare Welt des Walds

Er ist Wirtschaftsfaktor, Klimakraftwerk und ein faszinierender Naturraum mit unendlich vielen Facetten – Einblicke in den deutschen Wald.

13.08.2012
© picture-alliance

Deutschland ist ein Waldland. Ein Drittel der Fläche des dicht besiedelten Industrielandes bedecken Wälder, 11,1 Millionen Hektar. Das ist nicht weniger als zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Kaum zu glauben? Zählt man nur einmal die bekanntesten und größten Wälder auf, leuchtet die Zahl unmittelbar ein. Ob Schwarzwald oder Harz, ob Fich­tel­ge­birge, Thüringer Wald und Pfälzerwald, den städtischen und industriellen Ballungsräumen stehen die großen grünen Inseln gegen­über. Das größte zusammenhängende Waldgebiet Mit­tel­eu­ropas ist der Bayerische Wald, der sich zudem mit dem tschechischen Böhmerwald vereinigt. Und hier findet sich auch der größte deutsche Nationalpark auf einer Fläche von gut 12 000 Hektar. Auch er vereint sich grenzüberschreitend mit dem Nationalpark auf tschechischer Seite, beide zusammen sind das größte Waldschutzgebiet im mittleren Europa.

Den größten Anteil im deutschen Wald, gut 60 Prozent, belegen die Nadelbäume, vor allem die Fichten und Kiefern. Bei den Laubbäumen aber hat nicht die einst vielbeschworene „deutsche Eiche“ den ersten Rang inne, sondern die Buche. Ausgedehnte Buchenwälder, in denen zwischen den glatten, silbergrauen Stämmen das Sonnenlicht spielt, gehören zu Deutschlands schönsten Revieren. Fünf naturnahe deutsche Buchenwälder voller alter Baumriesen wurden im Frühjahr 2011 von der UNESCO in das Weltnaturerbe aufgenommen. Rund 4400 Hektar bedecken diese Wälder. Zu ihnen gehört auch der Grumsin im Bio­sphärenreservat Schorfheide-Chorin. Nur eine Stunde nördlich von Berlin in der südlichen Uckermark liegt dieser etwa 600 Hektar große Wald. Für Besucher bietet der Grumsin fast so etwas wie eine Zeitreise. Hier hat die Eiszeit ihre Spuren hinterlassen, man wandert durch ein zerklüftetes Gelände aus Höhen und Senken. Einen besseren Schutz vor Rodung konnte es über die Jahrhunderte kaum geben. Zwischen den Bäumen Moore, Tümpel und Waldseen – ein Naturdenkmal aus Wald und Wasser. So recht zur Ruhe kommt der Mensch hier aber nicht ganzjährig, Mücken attackieren den Wanderer, als wollten sie dafür sorgen, dass der neue UNESCO-Ruhm nicht zu viele Besucher ins Reservat lockt.

Die Vereinten Nationen haben 2011 zum Internationalen Jahr der Wälder ausgerufen. Damit soll weltweit Aufmerksamkeit geschaffen werden für die immense Bedeutung, die diese Lebensräume für unseren Planeten und für die Menschen haben. Wälder spielen im Klima- und Wettersystem der Erde eine wesentliche Rolle. Sie regulieren den Wasser- und Lufthaushalt, sie sind enorme Kohlenstoffspeicher und Orte einer unersetzlichen Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen. Von den Wäldern sind mehr Menschen wirtschaftlich abhängig, als man gemeinhin denkt. Das Wissen um all diese Funktionen der Wälder zu verbreiten, vor allem dazu soll das Internationale Jahr beitragen.

Das Interesse der Menschen an den Wäldern ist in Deutschland ohnehin groß. So zählt beispielsweise der Müritz-Nationalpark jährlich über eine halbe Million Besucher. Im Internationalen Jahr der Wälder findet diese Neugier ein zusätzliches reiches Angebot an Walderlebnissen. Unter der Ägide des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz finden überall in Deutschland 5000 Veranstaltungen statt – Wanderungen, Waldführungen, Konzerte, Baumpflanzungen. Zum Ausklang des Jahres eröffnet das Deutsche Historische Museum in Berlin am 2. Dezember 2011 eine Ausstellung: „Der deutsche Wald. Eine Kulturgeschichte.“ Hier werden Waldwelten aus Literatur und Malerei gezeigt, ein inszeniertes und zuweilen überfrachtetes „Idealbild der Natur“ (bis 4. März 2012).

Das Waldbewusstsein der Deutschen ist wohl auch darum so hoch, weil sie die „grüne Lunge“ für Erholung und Sport ausgiebig nutzen. 50 Prozent der Menschen in Deutschland, so hat eine Befragung ergeben, sind alle zwei Wochen im Wald – oder noch öfter. Waldlauf, Wanderung oder Spaziergang, im Grünen suchen sie Entspannung vom hektischen Alltag. Frische Luft schnappen, nennen die Menschen, was die Wissenschaftler detailliert als eigentümliches Waldklima erfassen: Sonnenschutz, Lärmschutz, angenehme Luftfeuchtigkeit und vieles mehr.

Rund 15 Prozent der Waldflächen in Deutschland bedeckt die Buche, knapp zehn Prozent die Eiche. Ohne den Eingriff des Menschen, da sind die Botaniker recht sicher, wäre die Buche in Deutschland (außer in den bergigen Regionen) nahezu flächendeckend verbreitet. Die Dominanz der Nadelbäume Fichte (28 Prozent) und Kiefer (23 Prozent) ist menschengemacht. Der hohe jährliche Zuwachs der Fichte und ihre Eignung für viele Verwendungen versprach reiche Holzernte und schnelle Gewinne. Es entstanden die berüchtigten Monokulturen, die aber auch besonders anfällig waren für Sturmschäden, Krankheiten und Schädlinge. Doch hat der Umbau im Zeichen der Risikominimierung in deutschen Wäldern bereits begonnen. Vermehrt setzt man bei Aufforstungen auf Laubhölzer und will den Anteil der Mischwälder erhöhen. Für die Forstwirtschaft ist das eine anspruchsvolle Aufgabe, gilt es doch die bereits erkennbaren und künftigen Folgen des allgemeinen Klimawandels bei der Wahl der Baumarten zu berücksichtigen. So viel scheint heute sicher, die Fichte wird an Terrain verlieren, bei langen Trockenperioden und Hitze gerät sie zu sehr unter Stress. Buche, Kiefer und Eiche sind unter derartigen Bedingungen viel widerstandsfähiger.

Wie es um den deutschen Wald heute bestellt ist, wird in den jährlichen Waldzustandsberichten und in den Bundeswaldinventuren beschrieben. Besonders bei Eichen und Buchen ist der Anteil stark geschädigter Bäume mit verlichteten Kronen sehr hoch. Zwar hat das in den 1980er-Jahren befürchtete „Waldsterben“ nicht stattgefunden, doch bleibt die aufmerksame Beobachtung der Bäume unerlässlich. Ob Forschungen über die Auswirkungen der Luftverschmutzung, zu Prozessen im Waldboden oder zum Verhalten von Mikrobakterien und Pilzen, der Wald ist mehr denn je zum Gegenstand der Wissenschaften geworden.

Der Wald ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Forst und Holz gehören zu den größten Sektoren der deutschen Wirtschaft. Rund 1,2 Millionen Arbeitskräfte und ein jährlicher Umsatz von 170 Milliarden Euro, erstaunliche Zahlen. Deutschland gehört zu den waldreichsten Ländern in Europa. In jeder Sekunde produzieren die Bäume hier einen Holzwürfel mit einer Kantenlänge von 1,55 Metern. Die deutschen Wälder sind nicht übernutzt, der Zuwachs liegt höher als die Ernte. Verfügbar sind also auch noch Reserven zur energetischen Holznutzung. Die Nutzung der Wälder könnte sich schon bald erheblich verändern. Gerade im Zeichen des Klimawandels steht Holz im Fokus. Sein vermehrter Einsatz bei Bauwerken, bei der energetischen Nutzung vom Biomasse-Kraftwerk bis zur Holzheizung und bei vielen Gütern des täglichen Bedarfs kann und soll auch zur Verbesserung der Kohlendioxidbilanz beitragen. Als Energielieferant bietet Holz alle Vorzüge nachwachsender Rohstoffe. Werden diese Ziele umgesetzt, so ist eine erhebliche Steigerung der Nachfrage nach Holz zu erwarten. Dann auch die Anforderungen des Wald- und Naturschutzes zu erfüllen, hinreichend geschützte Waldflächen zu erhalten, genug „Totholz“ für Würmer, Käfer und Insekten im Wald zu belassen, wird keine leichte Aufgabe. Nachhaltige Forst- und Holzwirtschaft muss zum Glück nicht neu erfunden werden, es gibt sie seit über 300 Jahren: Den Begriff prägte 1713 der sächsische Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz.

Die Wälder, in Deutschland und weltweit, gehören zu den wichtigen Arbeitsarealen der Zukunft. Bäume aber haben ein anderes Zeitmaß als der Mensch, sie wachsen über Jahrzehnte und Jahrhunderte. Was bedeutet, dass die Weichen heute gestellt werden müssen. Holz ist ein komplexes Thema geworden. Wer dabei „den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht“, wie ein deutsches Sprichwort sagt, dem kann man zur Erholung und Orientierung einen ausgiebigen Spaziergang empfehlen – zwischen den Stämmen, unter dem schützenden Dach eines Buchenwaldes.