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„Wir möchten über psychische Beschwerden aufklären“

Meryam Schouler-Ocak von der Berliner Universitätsklinik Charité ist Expertin in der interkulturellen Psychiatrie und setzt auf neue Formate der Vermittlung.

Josefine JanertInterview: Josefine Janert, 02.06.2025
Meryam Schouler-Ocak
Meryam Schouler-Ocak © privat

Frau Professorin Schouler-Ocak, Ihr Fachgebiet ist die interkulturelle Psychiatrie – was versteht man darunter?

In einer interkulturellen Gesellschaft gibt es vieles, das die Menschen unterschiedlicher Herkunft verbindet, aber auch zahlreiche unterschiedliche kulturelle Vorstellungen und Werte. Interkulturelle Psychiatrie ist Teil der Sozialpsychiatrie und berücksichtigt diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wie wird psychische Gesundheit in den jeweiligen Kulturen definiert? Wie werden Diagnosen gestellt und Erkrankungen erforscht? Wie äußern sich Patientinnen und Patienten über ihre Beschwerden? Was erwarten sie von den Ärztinnen und Ärzten? Diese Fragen stellen wir uns – übrigens auch in der European Psychiatric Association, in der ich sehr aktiv bin. 

Sie kamen 1970, im Alter von sieben Jahren, aus der Türkei nach Deutschland. Haben Sie in Ihrer Jugend im Ruhrgebiet erlebt, dass Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte mit ihren psychischen Beschwerden alleingelassen wurden?

Damals nicht, aber während meiner Ausbildung zur Fachärztin für Psychiatrie zu Beginn der 1990er-Jahre. Da bemerkte ich zum ersten Mal, wie sehr viele Menschen litten – und zwar nicht nur in der türkeistämmigen Community. Zu der Zeit sprach ich mit Menschen aus Russland, Griechenland, aus arabischen Staaten, dem ehemaligen Jugoslawien und vielen anderen Ländern. Etliche von ihnen waren traumatisiert, mussten mit einer schwierigen familiären Situation zurechtkommen, sich in Deutschland neu einrichten. Sie waren hier isoliert, hatten weniger Zugang zu medizinischer Hilfe. Das hat mich bestürzt.

Psychische Erkrankungen waren in Deutschland lange ein Tabu, sind es zum Teil bis heute.

Das ist in der türkischsprachigen Community ähnlich. Deshalb haben wir, die Journalistin Dilek Üşük und ich, vor anderthalb Jahren mit Förderung der Stiftung Charité die Video-Reihe „Anlat.psikoloji.vakti – Zeit für Psychologie“ gestartet. „Anlat“ heißt auf Deutsch „Erzähl mal!“ Die Videos gibt es unter anderem kostenlos auf YouTube. In zehn Folgen, die jeweils etwa zehn Minuten dauern, und in Ausschnitten für Instagram sprechen Dilek und ich in erster Linie über Depressionen. Denn aus der Forschung und aus meinem Arbeitsalltag in der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus in Berlin weiß ich, dass sie unter Türkeistämmigen in Deutschland weit verbreitet sind.

Welche Gruppen sind besonders betroffen? 

Zum Beispiel junge Frauen mit türkischen Wurzeln. Sie stehen oft unter dem Druck unterschiedlicher Erwartungen, die zum einen ihre türkeistämmigen Familien haben, zum anderen die Mehrheitsgesellschaft. Unter Älteren ist Einsamkeit stark verbreitet. Einige meiner Patientinnen und Patienten kamen in den 1960er-Jahren als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in die Bundesrepublik. Sie leisteten jahrelang harte körperliche Arbeit und opferten sich für ihre Familien auf. Jetzt bekommen sie wenig Wertschätzung dafür. 

Kann da eine Video-Serie helfen?

Ja! Unser Ziel ist es, über psychische Beschwerden aufzuklären. Wir vermeiden Fremdwörter, erläutern im Dialog, was eine Depression ist. Ich bringe mein Fachwissen und meine Berufserfahrung ein, während Dilek Üşük darauf achtet, dass wir klar und verständlich reden. Ein Sporttherapeut zeigt körperliche Übungen, die langsam an Schweregrad zunehmen und die Menschen aller Altersgruppen im Wohnzimmer ausführen können. Sich zu bewegen, hilft nämlich, die Symptome einer Depression zu lindern. Wir regen die Menschen auch dazu an, regelmäßig draußen zu spazieren. Sonnenlicht kurbelt die Produktion von Neurotransmittern an. Das sind Substanzen, die Signale zwischen den Nervenzellen übermitteln. Während einer Depression sind diese Neurotransmitter aus dem Gleichgewicht.

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Geht es darum, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer eine Psychotherapie beginnen?

Vor allem erfahren sie erst einmal, dass es einen Namen gibt für das, worunter sie leiden. Sie bekommen Anregungen dafür, wie sie sich selbst helfen können. Dazu gehört neben Bewegung auch, dass sie auf eine gesunde Ernährung achten: Hülsenfrüchte enthalten zum Beispiel Vorstufen von Neurotransmittern. Wir erläutern auch, dass es unsinnig ist, immer wieder große Portionen zu essen. Denn mit einem übervollen Magen macht Bewegung kaum Spaß. Und wir sagen: Achtet auf euch! Ältere Frauen, die ihr ganzes Leben in den Dienst der Familie gestellt haben, sollten innehalten, durchatmen, sich um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern.