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„Wir kombinieren das Beste von beiden Seiten“

Die Berliner Charité und das Sheba Medical Center in Israel wollen in Zukunft noch mehr voneinander lernen und medizinische Innovation gemeinsam vorantreiben.

Gunda Achterhold, 15.02.2024
Mitarbeiterinnen der Charité in Berlin
Mitarbeiterinnen der Charité in Berlin © pictureAlliance/dpa

Sie zählen beide zu den besten Krankenhäusern der Welt: die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Sheba Medical Center in Israel. Ende 2022 vereinbarten die beiden Kliniken eine strategische wissenschaftliche und akademische Zusammenarbeit, um medizinische Innovationen voranzubringen. Ein Schwerpunkt liegt aktuell unter anderem auf der Erforschung von Long Covid, die beiden Häuser arbeiten aber in vielen anderen Forschungsbereichen bis hin zur Krankenhaus-IT ebenfalls eng zusammen. Die Kooperation von Medizinerinnen und Medizinern in Deutschland und Israel bewährt sich auch in der angespannten Lage seit dem Terrorangriff der radikalislamistischen Hamas am 7. Oktober 2023. 

Erfahrungen austauschen und voneinander lernen

Eine Delegationsreise im Juni 2022 bildete den Auftakt der deutsch-israelischen Kooperation. „Wir kombinieren das Beste von beiden Seiten“, sagt Professor Friedemann Paul, Leiter des Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des Max-Delbrück-Centers. Ebenso wie sein israelischer Kollege Professor Joab Chapman, Neurologe am Sheba Medical Center in Ramat Gan nahe Tel Aviv, forscht er zu den Ursachen chronisch-entzündlicher Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose. Er verfolgt dabei einen sogenannten translationalen Ansatz: Neue Entwicklungen und Erkenntnisse werden so schnell wie möglich in die klinische Praxis übertragen.

Die Charité profitiere von der Innovationskraft Israels als Startup-Nation, die mit hoher Geschwindigkeit neue Erfindungen und Produkte auf den Markt bringe, so Paul. „Was wir wiederum als Kooperationspartner anbieten können, ist der Zugang zu größeren Patientenkohorten und auch zu großen Märkten – ein Thema, das für ein kleineres Land wie Israel wichtig ist.“ Als größte akademische Institution in Europa habe die Charité Patientinnen und Patienten selbst zu sehr seltenen Krankheiten. „Es gibt keine Krankheit, an der wir nicht klinisch forschen.“ 

Der Charité-Vorstand auf einer Delegationsreise am Sheba Medical Center
Der Charité-Vorstand auf einer Delegationsreise am Sheba Medical Center © Sheba Medical Center

Die Zusammenarbeit geht aber über die reine Forschung hinaus. „Der Aspekt des gegenseitigen Lernens voneinander ist neben den konkreten gemeinsamen Projekten in Forschung, Lehre und Versorgung auch in dieser internationalen Partnerschaft von zentraler Bedeutung“, sagt Dr. Anna van Santen, Leiterin der Stabsstelle Internationales an der Berliner Charité. „Einer der Schwerpunkte der Zusammenarbeit ist der Austausch von Best Practices im Bereich Krankenhaus-Management und IT.“ Bei einem Treffen im Februar 2024 geht es beispielsweise darum, sich über Abrechnungs- und IT-Prozesse in der ambulanten Versorgung auszutauschen. 

Enge Zusammenarbeit bei der Forschung zu Long Covid

Aktuell liegt ein Schwerpunkt auf Covid-Erkrankungen und insbesondere auf Long Covid. Israel gehörte in der Corona-Pandemie zu den führenden Ländern bei der Entwicklung von Impfstoffen. „Viele der Impfdaten wurden bei uns analysiert“, sagt Chapman. Er forscht mit seinem Team weiter daran, Covid-Erkrankungen besser zu verstehen. „Noch verstehen wir nicht, wie sich Covid auf das Gehirn auswirkt“, so Chapman. „Aber Sheba und die Charité arbeiten auf einem sehr hohen medizinischen Niveau zusammen. Wir bringen die besten Voraussetzungen mit, um gemeinsam an innovativen Lösungen zu arbeiten, die die Diagnose und Behandlung der Patienten verbessern.“ 

Sheba und die Charité arbeiten auf einem sehr hohen medizinischen Niveau zusammen.
Professor Joab Chapman, Neurologe am Sheba Medical Center

Für Menschen, die an Post-Covid-Beschwerden oder an den Folgen von Impfungen leiden, richtete die Charité ein Netzwerk von Schwerpunktpraxen und Spezialambulanzen ein. Ähnlich wie Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose leiden viele von ihnen an Müdigkeit, kognitiven Störungen oder dem sogenannten Brain Fog, der mit Gedächtnisverlust verbunden sein kann. Mithilfe bildgebender Verfahren untersuchen deutsche und israelische Projektteams die Gehirnstrukturen von Patientinnen und Patienten, um Veränderungen zu erkennen und die Mechanismen der Autoimmunerkrankung besser verstehen zu können. „Ziel unserer Kooperation ist es, erkrankten Menschen zu helfen“, betont Chapman. „Unsere besondere Expertise am Sheba Medical Center liegt dabei in den Bereichen Big Data, Analytik und Künstliche Intelligenz.“

Enge Kooperation trotz angespannter Lage im Nahostkonflikt

Die Eskalation im Nahostkonflikt erschwert zwar zum Teil die Zusammenarbeit, aber die beiden Kliniken kooperieren weiter eng. So ist im Sommer 2024 ein Workshop in Berlin geplant, um junge Forschende des Sheba Medical Centers und der Charité zusammenzubringen. „Dabei wird es um den Einsatz von KI zur Verbesserung der Diagnostik in verschiedenen Bereichen der Medizin gehen“, sagt ECRC-Leiter Paul. Die schwierige politische Lage mache die Dinge im Moment etwas komplizierter. „Dennoch planen wir, einige der israelischen Nachwuchsärztinnen und -ärzte an die Charité zu bringen und sie an Ausbildungsprogrammen teilnehmen zu lassen, um die Zusammenarbeit hier und dort zu fördern.“ Ein möglicher nächster Schritt sei die Einführung sogenannter Seed Grants, um so den Grundstock für deutsch-israelische Förderprojekte auf europäischer Ebene zu legen. 

„Diesen Rückhalt auf strategischer, aber eben auch auf menschlicher Ebene wissen wir sehr zu schätzen“, betont Sheba-Mediziner Chapman. Im Grunde sei Sheba ein Beispiel für friedliche Koexistenz, die Klinik versorge Patientinnen und Patienten aus dem gesamten Nahen Osten. Auch Kranke aus den Palästinensischen Autonomiegebieten wurden hier behandelt. „Bei uns arbeiten Menschen, die anderen wirklich helfen wollen, die die Wissenschaft voranbringen und die Versorgung der Patienten verbessern wollen“, so Chapman. In Zeiten des Krieges sei das jedoch sehr schwierig. „Und deshalb ist die Unterstützung Deutschlands und der Charité in diesen Tagen so wichtig.“