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Russische Manipulation: „Fatale Verdrehung der Wirklichkeit“

Desinformation, Cyberangriffe, KI-Propaganda: CeMAS-Forscherin Julia Smirnova erklärt, wie Russland Informationskriege führt – und wie Deutschland sich schützen kann. 

Johannes_GöbelInterview: Johannes Göbel , 19.12.2025
Julia Smirnova: „Diskreditierung demokratischer Institutionen“
Julia Smirnova: „Diskreditierung demokratischer Institutionen“ © eMAS

Mit einer aktuellen Veröffentlichung zu „Russischen Konzepten der Informationskriegsführung“ lenkt das gemeinnützige Berliner Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) den Blick auf ein zentrales Konfliktfeld der Gegenwart. Autorin Julia Smirnova spricht mit deutschland.de über Strategien der russischen Desinformation und notwendige Gegenmaßnahmen. 

Frau Smirnova, im Dezember 2025 hat die Bundesregierung die russische Regierung offiziell als Urheber eines großen Cyberangriffs und einer Desinformationskampagne im letzten Bundestagswahlkampf benannt. Was bedeutet diese Zuordnung? 

Zum einen muss man sagen, dass russische Desinformationskampagnen schon seit Längerem bekannt sind. Wir haben bei CeMAS zum Beispiel im Vorfeld der Bundestagswahl mehrere russische Kampagnen dokumentiert – darunter die Kampagne „Storm-1516“, die deutschen Politikern demokratischer Parteien abstruse Lügengeschichten angedichtet hat. Unmittelbar vor dem Wahltag wurden, auch mit inszenierten Videos, Falschbehauptungen über angeblichen Wahlbetrug verbreitet. Für die öffentliche Kommunikation ist es aber noch einmal ein entscheidender Schritt, wenn die Bundesregierung offizielle Zuordnungen vornehmen kann. Das hilft dabei, Transparenz zu schaffen und die Bevölkerung besser vor russischen Manipulationsversuchen zu schützen, insbesondere durch Aufklärung und Information. 

Was ist charakteristisch für die russische Informationskriegsführung? 

Sie ist außergewöhnlich breit gefasst: Neben Desinformationskampagnen zählen auch Angriffe auf Informationssysteme und Kommunikationsinfrastruktur dazu, das Ausspionieren von entsprechenden Schwachstellen sowie das Platzieren von Propagandabotschaften. Der Informationsraum wird sehr weit verstanden: Es geht der russischen Führung nicht nur um Politik im engeren Sinne, sondern auch um Fragen von Religion, Kultur und Werten. Russland stellt sich in diesem Zusammenhang als Opfer eines Informationskriegs dar, das lediglich auf die Verbreitung sogenannter westlicher, sozial-liberaler Werte reagiert.  

Welche Ziele stehen dahinter? 

Für die russische Führung ist die Sicherheit des eigenen Regimes zentral. Jegliche Form von Opposition und die Verbreitung von Ideen, die nicht der offiziellen Sicht des Kremls entsprechen, werden als bedrohlicher ausländischer Einfluss definiert. Nach dieser Logik muss nicht nur der russische Informationsraum streng kontrolliert werden, auch abweichende Wertvorstellungen in anderen Staaten werden als Bedrohung für die eigene Herrschaft aufgefasst, insbesondere in den ehemaligen Ländern der Sowjetunion, denen der Kreml volle Souveränität abspricht. Diese Haltung hat das russische Handeln schon vor den Angriffen auf die Ukraine 2022 und 2014 geprägt. Sicherlich als vorgeschobene Rechtfertigung für das eigene, aggressive Handeln. Wir können aber auch nicht ausschließen, dass Teile der russischen Eliten sich tatsächlich als Angegriffene sehen. Zum anderen geht es um die Wiederherstellung des Großmachtstatus und die Destabilisierung der demokratischen Länder des Westens.  

Wie kann Deutschland auf die russische Informationskriegsführung reagieren? 

Die Erkenntnis, dass Russland eine umfassende Strategie verfolgt, sollte entsprechende Gegenmaßnahmen auslösen. Es genügt nicht, nur politische Akteure vor russischen Desinformations- und Cyberattacken zu schützen. Ganz unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche müssen präventiv gestärkt werden. Das heißt auch, nicht bloß reaktiv zu handeln und Posts und Accounts zu löschen, wenn Kampagnen schon laufen. Staatliche Stellen, aber auch zahlreiche andere Akteure, Hosting-Provider, IT-Unternehmen und Social-Media-Plattformen müssen ihre Systeme so stärken, dass sie nicht durch russischen Einfluss missbraucht werden können, etwa durch das massenhafte Anlegen von Bot-Accounts oder Desinformations-Websites. Finanzielle Verbindungen zu Politikerinnen und Politikern und anderen Einflussnetzwerken sollten besser untersucht werden. Menschen unterschiedlicher Altersgruppen sollen zu den Taktiken und Methoden der russischen Akteure aufgeklärt werden, zum Beispiel im Feld der Künstlichen Intelligenz. 

Was ist dort besonders zu beachten? 

Es zählt offensichtlich zu den neuesten Strategien Russlands, zu versuchen, die Desinformation so breit zu streuen, dass sie Eingang in Trainingsdatensätze für Large Language Models findet. Mehrere Studien zeigen, dass KI-Chatbots in ihren Antworten zum Teil russische Propaganda wiedergeben.  

Welche Konsequenzen der russischen Informationskriegsführung sind aus Ihrer Sicht besonders verheerend? 

Demokratische Institutionen und unabhängiger Journalismus werden diskreditiert. Es geht um eine fatale Verdrehung der Wirklichkeit: Laut den russischen Narrativen sind es die sogenannten westlichen Medien, die staatlich gesteuert sind und in deren Ländern keine wirkliche Meinungsfreiheit herrscht. So sollen Demokratien destabilisiert und Chaos und Misstrauen gesät werden. Schon in vermeintlichen Friedenszeiten hat Russland in Nachbarstaaten wie der Ukraine und Georgien Informationen manipuliert, bevor es zu militärischen Auseinandersetzungen kam. Der Informationskrieg steht oft am Anfang einer Aggression, die letztlich die Unabhängigkeit von Menschen und sogar ihr Leben bedroht. 

Zur Person

Julia Smirnova ist Senior Researcherin im CeMAS, das interdisziplinäre Expertise zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus bündelt. Ihr Fokus liegt auf der Frage, wie autoritäre Staaten digitale Technologien nutzen, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. 

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